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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind
Autoren: Reinhard Rohn
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Ich gab mir verzweifelt Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Was war als Nächstes zu tun? Ich zog mein mobiles Telefon hervor, eine wunderbare Erfindung, und tippte mit zitternden Fingern die Notfallnummerder Feuerwehr ein. Die eher betulich klingende Stimme eines älteren Mannes versprach mir, sofort Hilfe vorbeizuschicken. Ich hatte wenig Hoffnung, dass sie noch rechtzeitig eintreffen würde.
    Panisch lief ich einmal um das Haus herum, fragte mich, ob ich Licht irgendwo verängstigt unter einem Busch entdecken würde und ob ich etwas fand, mit dem ich selbst versuchen könnte, den Brand zu löschen. Doch der einzige Gartenschlauch, den ich besaß, hatte sich im Geräteschuppen befunden und war mittlerweile nur noch ein Häufchen glühender Asche.
    Schließlich rannte ich auf den Eingang meines Hauses zu. Die Schmerzen, die in meinem lädierten Knie wieder aufgebrochen waren, registrierte ich in meiner Hast nur am Rande. Wenn ich mich beeilte, konnte ich vielleicht noch ein paar Dinge retten, die mir oder meinem Vater gehört hatten. Die Pappe in der Tür war herausgerissen worden. Auch hier war der Eindringling gewesen, bevor er das Feuer gelegt hatte.
    Ich sperrte die Tür auf. Im Haus war es überraschend kühl gegen die Gluthitze im Garten. Unter der Treppe zerrte ich meinen einzigen Koffer hervor und warf ein paar Dinge hinein, eine Hose, die über einem Stuhl hing, zwei meiner neuen Hemden, den alten Mantel. Als Nächstes stürzte ich zu der Schallplattensammlung meines Vaters und riss wahllos ein paar Platten heraus, um sie auch in den Koffer zu stopfen. Die Pistole, fiel mir ein, wo war meine Pistole? Von draußen hörte ich ein lautes Fauchen und Krachen, als läge da ein leibhaftiger Drache auf der Lauer. Offensichtlich waren die ersten Dachbalken des Schuppens im Feuer zusammengebrochen. Nun zogen auch die ersten, dichteren Rauchschwaden ins Haus. DickerSchweiß war mir auf die Stirn getreten, fast wie Blut fühlte er sich an, als hätte ich auf der Stirn eine offene Wunde. Ich konnte die Pistole nicht finden. Ungelenk lief ich die Treppe hinauf, kehrte jedoch auf halber Strecke wieder um. Nein, die Pistole lag nicht im Schlafraum. Wann hatte ich sie zuletzt in der Hand gehalten? Die Waffe musste auf der Kommode gelegen haben, kaum verdeckt von ein paar vergilbten Rätselheften meines Vaters.
    Der Junge, dachte ich, er hat die Pistole gefunden und mitgenommen, und dann hat er Licht freigelassen, damit dem Vogel nichts passiert, wenn er den Schuppen und damit auch das Haus in Brand steckt.
    Ich stopfte noch ein paar Sachen in meinen Koffer, bevor ich ihn zuwarf, mir unter den Arm klemmte und nach draußen eilte. Vom Dorf schrillte eine Sirene herüber. Die Flammen hatten das Dach des Hauses erreicht. Die ersten Holzschindeln brannten. Zarte Flammen wischten über sie hinweg zum Dachfirst hinauf, während der Geräteschuppen nur noch ein einziger Feuerball war. Wie ein wütendes glühendes Tier hatte es sich auf das Dach geworfen und versuchte an ihm hinaufzuklettern. Nichts konnte ich tun. Ich warf den Koffer neben Lichts Käfig auf die Wiese, die von der Hitze längst feucht und rutschig geworden war, und sah reglos zu, wie das alte, verwitterte Ferienhaus meines Vaters wimmerte und stöhnte, während es sich mehr und mehr den Flammen unterwerfen musste.
    Eine Leere des Entsetzens tat sich für einen Moment in mir auf, von der ich gar nicht gewusst hatte, dass es sie in mir gab. Ich schaute in die Hölle und fühlte sie sogar. Was hatte der Junge da getan? Wollte er mich vertreiben und zugleich die Erinnerung an seinen Vater auslöschen? Und warum hatte er die Pistole mitgenommen?
    Dann hörte ich das Martinshorn, ein ohrenbetäubender, wundervoller Laut. Ich riss mich aus meiner Starre und eilte zum Tor, um es zu öffnen. Ein Löschwagen der Feuerwehr steuerte, so schnell es auf der noch immer leicht vereisten Straße möglich war, auf mein brennendes Haus zu.
    Vier Männer sprangen aus dem Wagen. Sie trugen Uniform und hatten sich bereits ihre weißen Helme aufgesetzt. Die beiden Jüngsten, halbe Kinder noch, begannen sofort einen Schlauch abzurollen und in Richtung Straße zu ziehen. Offenbar wussten sie genau, wo sich der nächste Wasseranschluss befand. Man konnte nur hoffen, dass er nicht vollkommen vereist war. Die zwei anderen liefen auf mich zu. Der Altere, ein Mann mit einem grauen Schnauzbart, lächelte sogar, was mich merkwürdigerweise beruhigte.
    »Schöner Mist, was?«, rief er. »Wie
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