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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind
Autoren: Reinhard Rohn
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bereits begonnen hatte, am Effekt dieser Überraschung zu zweifeln. »Wann soll er einmal auf andere Gedanken kommen, wenn nicht an seinem Geburtstag?«
    Über den Kirchplatz zum Pfarrhaus lief sie beinahe, als wollte sie nicht mit mir zusammen gesehen werden. In ihrer Küche stand der Tee auf einem Stövchen bereit. Die Küche war nun peinlich sauber, ganz anders als bei meinem ersten Besuch, und gleichfalls mit Luftballons und bunten Girlanden geschmückt, und all die Dinge, die man zu einem netten Geburtstag brauchte, waren auch schon vorbereitet: Teller, Gläser, Servietten und ein runder Schokoladenkuchen mit zwölf Kerzen.
    Hedda nahm zwei Tassen und schenkte uns ein. Wennsie sich gefreut hatte, mich zu sehen, so war diese Freude mit dem Betreten ihres Hauses schlagartig verflogen. Unruhig schaute sie auf die Uhr, als könnte ihr Sohn jeden Moment in der Tür stehen, obgleich es erst halb zwölf war.
    »Meine Frau ist heute Morgen zurückgefahren«, sagte ich. Es klang viel zu bedeutsam, wie eine Erklärung und ein Versprechen zugleich.
    »Ich weiß.« Ihre Augen musterten mich argwöhnisch. »Dein Chauffeur hat sich auch bei mir verabschiedet und nach deiner Telefonnummer gefragt.«
    Für einen Moment nahm mir diese Nachricht den Atem, dann fasste ich mich. »Ochs ist sehr umsichtig«, erklärte ich, ohne meinen Zorn auf Ira zu zeigen, die hinter all dem stecken musste. »Manchmal übertreibt er es allerdings ein wenig.«
    Hedda seufzte auf und nahm ihre Brille ab. Nun bekam sie wieder ihr Sorgengesicht. »Außerdem hat uns jemand neulich nachts gesehen. Jedenfalls erzählt der Tierarzt Geschichten über uns.«
    »Doktor Melles scheint ein echter Mistkerl zu sein«, erwiderte ich, auch wenn ich wusste, dass mir eine andere, viel tröstlichere Antwort hätte einfallen müssen.
    »Ich kann nicht sagen, dass mir das alles sehr gelegen kommt. Michael ist noch nicht lange tot. Mark hat heute Geburtstag, und bald beginnt die Weihnachtszeit.« Hedda blickte wieder auf die Uhr. Dann setzte sie wieder ihre Brille auf und reichte mir in einer eindeutigen Abschiedsgeste einen weißen Briefumschlag. »Das habe ich noch für dich.« Wahrscheinlich ließ sich die Liste der Gründe, die dagegen sprachen, dass wir noch einmal zusammen durch die Nacht liefen, beliebig fortschreiben.
    Ich versuchte zu lächeln und erhob mich. Selten war ichirgendwo höflicher hinauskomplimentiert worden. »Danke für den Tee«, sagte ich, während ich den Umschlag einsteckte. »Es würde mich trotzdem freuen, wenn wir uns irgendwann in den nächsten Tagen sehen könnten.«
    Hedda schaute mir nach, als ich mich auf die Tür zu bewegte. Ihre Mundwinkel zuckten. »Vielleicht«, sagte sie nachdenklich. »Aber am besten auf der anderen Seite des Sees.«
    Ich ging in die Hotelpension hinüber und versuchte, vor mir selbst nicht den Eindruck zu erwecken, ein geschlagener Mann zu sein, aber wenn mir nun nach etwas zumute war, dann nach einem kräftigen Kognak. Der Himmel hatte sich verdunkelt. Kalter Nebel zog herauf. Ein Wetter, wie gemacht für eine düstere Stimmung.
    Vom Fenster aus konnte ich beobachten, dass Hedda noch einmal die Luftballons an ihrer Tür überprüfte und dann erwartungsvoll nach ihrem Sohn Ausschau hielt. Gleich musste der Schulbus ins Dorf kommen, und sie würde ihrem Sohn die erste Überraschung bereiten.
    Ich trank meinen ersten Kognak aus und öffnete dann den Briefumschlag, den sie mir mitgegeben hatte. Eigentlich glaubte ich zu wissen, was sie mir geschrieben hatte: ein paar höfliche, nicht zu verletzende Worte, warum unser Spaziergang neulich abends und vor allem der Kuss ein Irrtum gewesen waren.
    Zuerst bemerkte ich, dass sie meinen Federhalter benutzt hatte; eine saubere, gestochen scharfe Schrift auf grobem, gelblichen Papier, wie man es auch für Einladungskarten verwendete. Hedda hatte nicht viel geschrieben: Matthias Seeger , stand da, ist ein erfahrener, guter Architekt. Er hat schon zwei wunderschöne Kirchen gebaut , übernimmt aber auch kleinere Aufträge. Man muss von ihm also nicht gleich eine Kathedrale planen lassen . Darunter folgte eine kurze Telefonnummer, die auf einen Ort in der Nähe hindeutete.
    Ein Gefühl stieg in mir auf, das ich nicht kannte, eine freudige, helle Ungläubigkeit, weil meine düstere Erwartung, was der Brief enthielt, so ganz und gar nicht eingetroffen war. Ich lächelte unwillkürlich und entdeckte, dass eine Serviererin, die mich beklommen angeschaut hatte, als ich
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