Das Winterkind
schon einige Zeit diskret im Hintergrund gehalten, während ich mit Hedda gesprochen hatte.
»Chef …«, sagte er. Funken flogen empor. Ich konnte seine Augen sehen, die mich ungläubig anschauten. So hatte er mich noch nie angetroffen: einsam am Feuer sitzend und telefonierend. »Wir werden morgen in aller Frühe zurückfahren. Ihre Frau hat sich eingeschlossen. Sie hat mit niemandem mehr geredet.«
Ich wunderte mich, dass Grashoff und der junge Borger noch geblieben waren, vermutlich wollten sie in aller Ruheeiniges durchrechnen; gleichgültig, es spielte im Grunde keine Rolle mehr. Ich deutete Ochs, sich auf einen Holzstapel zu setzen. Wir schwiegen und schauten ins Feuer. Licht stand starr in der Dunkelheit und betrachtete uns.
»Chef«, begann Ochs schließlich erneut, »ich bin zu alt geworden, um ständig hinter dem Steuer zu sitzen. Ich hänge meinen Beruf an den Nagel.« Rötliche Schatten flackerten über sein Gesicht, das seltsam kantig und entschlossen aussah.
»Und was werden Sie dann tun?«, fragte ich.
»O, ich habe meine Pläne, ich werde Englisch lernen und dann endlich meine Tochter in London besuchen. Ich habe es ihr schon lange versprochen.« Er lächelte. »Aber meine Frau werde ich zu Hause lassen. Sie trinkt zu viel in letzter Zeit und redet mehr mit unserem Kanarienvogel als mit mir.«
Ich konnte mich nicht erinnern, dass Ochs in all den Jahren einmal seine Frau erwähnt hatte. Irgendwie hatte ich immer angenommen, er wäre verwitwet oder seit vielen Jahren geschieden.
»Nein, Ochs«, sagte ich. »London ist eine aufregende Stadt. Ihre Frau sollten Sie schon mitnehmen.« Dann fiel mir ein, wie unpassend so ein Vorschlag gerade aus meinem Mund klingen musste.
Er nickte, aber sagte kein Wort mehr. Als das Feuer heruntergebrannt war, kam er auf mich zu und umarmte mich zum Abschied. Ich roch wieder sein Rasierwasser und dachte den törichten Gedanken, dass selbst dieser Geruch mir fehlen würde.
21. Dezember
Kurz nach dem Aufwachen war ich noch überzeugt gewesen, keinen Fehler gemacht zu haben. Sollten Ira und Ochs ohne mich abfahren. Doch während ich ins Dorf lief, kehrten meine Zweifel zurück, die mich die halbe Nacht geplagt hatten. Sollte ich mich doch an der Sanierung der Fabrik beteiligen? Und was waren meine Rechte an sechs Markennamen wirklich wert?
Die beiden Mercedes-Limousinen vor der Hotelpension waren verschwunden. Verlassen lag der Parkplatz da und so, als würde da tatsächlich etwas fehlen. Es war kurz nach elf, als ich zum Pfarrhaus hinüberging. Vor der Tür hingen einige bunte Luftballons wie bei einem richtigen Kindergeburtstag. Ich war mir nicht sicher, ob solch ein Arrangement dem Jungen gefallen würde. Schließlich bedeutete es nichts anderes, als dass seine Mutter förmlich hinausbrüllte: Hallo, hier will jemand einen besonders lustigen Geburtstag feiern! Aber Hedda würde besser wissen, womit sie ihrem Sohn eine Freude machen konnte.
Ich klingelte dreimal, ohne dass mir geöffnet wurde, dann entdeckte ich, dass trotz der Kälte eine Seitentür der Kirche offen stand. Ich betrat die Sakristei und begab mich von dort in die Kirche. Jemand saß an der Orgel und spielte; diesmal erklang da kein wildes Wogen und Brausen. Hedda spielte Weihnachtslieder, verhalten und voller Gefühl, als wäre draußen schon eine stille, heilige Nacht angebrochen, in die sie ihre Gemeinde entlassen wollte. Ich schritt in der Kirche umher, vorbei an einigen brennenden Kerzen, an der Krippe, in der noch immer das Christuskind fehlte, und hörte Hedda zu, doch mitten im Spiel, aneiner besonders ruhigen Stelle brach sie ab und rief meinen Namen.
Wir konnten beide unsere Verlegenheit nicht ganz verbergen, als wir uns in der dunklen Kirche entgegenkamen. Hedda trug ein schwarzes Cape; ihre Hände steckten in Wollhandschuhen, von denen sie die Spitzen abgeschnitten hatte. Das Funkeln in ihren grünen Augen vertrieb ein paar der ernsthaften Sorgen, die ich mir gemacht hatte. Sie küsste mich leicht auf die Wange und schaute mich an, als müsste ich mich von gestern auf heute schwer wiegend verändert haben.
»Ich habe leider nicht viel Zeit«, sagte sie. »Mark wird gleich aus der Schule kommen.«
»Scheint ja eine große Geburtstagsparty zu werden. Ich habe die Luftballons vor der Tür gesehen.«
Hedda nickte, während wir in Richtung Sakristei gingen. »Ich habe drei Klassenkameraden eingeladen. Es soll eine Überraschung werden.« Ich konnte ihr ansehen, dass sie allerdings
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