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Das Winterkind

Das Winterkind

Titel: Das Winterkind
Autoren: Reinhard Rohn
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Sturz das linke Schienbein gebrochen und litt an Unterkühlung. Die Weihnachtstage würde er im Krankenhaus verbringen müssen.
    Als Hedda und ich das Krankenhaus verließen, war es drei Uhr am Morgen. Mitten auf der Straße blieb sie stehen, zog mich zu sich heran und nahm mein Gesicht in beide Hände, als müsste sie mich besonders eindringlich mustern.
    »Hast du den Architekten angerufen?«, fragte sie mit leisem Spott in der Stimme.
    »Klar«, flüsterte ich zurück. »Der Architekt hat sich das Haus auch schon angesehen, aber er hat gemeint, es sei hoffnungslos, ich solle die ganze Hütte am besten abfackeln. Danach würde er mir ein schönes, neues Haus bauen.«
    Hedda lächelte. Ihre Sommersprossen schimmerten im Licht einer Laterne. Dann küsste sie mich.
    Als ich vom See zurückkehrte, war es später Nachmittag. Ich kam nur langsam voran, aber mittlerweile gab es keinen Grund mehr, dass ich mich für irgend etwas beeilen musste. Wie eine richtige Krankenschwester hatte Hedda mein Knie bandagiert. Im Dorf war an jeder Ecke zu spüren, dass die Menschen sich in ihre Häuser zurückgezogen hatten und ihre Gabentische vorbereiteten. Allein ein paar halbwüchsige Kinder trieben sich noch in gespannter Erwartung auf den Straßen herum und spielten unkonzentriert mit einem Ball.
    Ich ging am erleuchteten Weihnachtsbaum vorbei, blickte kurz zum Friedhof hinüber, zu den Gräbern, die heute heller und freundlicher wirkten als an anderen Tagen, und begab mich in die Kirche. Es roch nach Kerzen und Tannennadeln. Nur am Altar brannten ein paar Lichter, doch ich sah, dass Hedda das Christuskind in die Krippe gelegt hatte. Am frühen Nachmittag hatte sie mit den Kindern aus der Vorschule den Zug von Maria und Josef durch das fremde, ungastliche Bethlehem nachgespielt. Danach war sie in das Krankenhaus gefahren, um Mark zu beschenken. Ich hatte ihr auch ein Geschenk für ihn mitgegeben, nichts Originelles, eine lange, graue Feder meines Fischreihers, die ich am Haus gefunden hatten. Es schien, dass ich nur noch Federn verschenkte, aber ohne Licht hätte ich den Jungen in der Nacht wahrscheinlich nicht gefunden.
    Seltsam, dachte ich, als ich mich in die letzte Bank setzte und die Stille einatmete, wer alles das eigene Leben durcheinander bringen konnte. Ein simpler Fischreiher konnte das und ein paar Zufälle, die vielleicht gar keine Zufälle waren.
    Ich schloss die Augen und spürte die Pistole in meiner Hosentasche. Wie hatte ich die Waffe vergessen können! Eigentlich war sie es, die mich vor vier Wochen in dieses Dorf und das verwitterte Haus meines Vaters getrieben hatte.
    Gleich würde ich noch einmal zum See zurückgehen, um die Pistole ganz weit, jenseits der Eisgrenze in das Wasser zu werfen. Dann würde ich auf Hedda warten, um mit ihr Weihnachten zu feiern.
    Ja, so würde ich es machen.

Danksagung
    Meinen besonderen Dank für ihre aufmerksame Lektüre sage ich an meine Frau Michaela sowie an Joachim Jessen. Einen herzlichen Dank auch an Thomas Schluck, Claudia Negele, Julia Eisele und Frauke Brodd.
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