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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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ein kleines Haus eben aussieht. Lange konnte ich niemanden herausklingeln, mit keiner der Klingeln. Dann kam wer vom Personal vom Einkaufen und ließ mich rein. Während ich auf Frau Fraccaroli wartete, die – wie man mir sagte – noch in der Bettenabteilung im ersten Stock war (aber angeblichschon von mir weiß!), schaute ich mich unten um. Ambulanz, Schwesternzimmer, Operationssaal, Badezimmer und dann so etwas wie ein Rehabilitationsraum und neben einer schwarzen Tür ohne Klinke ein Kaffeeautomat. Ich fische ein Zehnkronenstück heraus, drücke die Knöpfe und warte, bis der Becher voll ist.
    Für mich, bitte, auch einen.
    Ich drehe mich schnell um. Und weiß auf der Stelle Bescheid. Sie reicht mir einen Hundertkronenschein, aber ich schüttle den Kopf: Nein, nein, Frau Fraccaroli, diese Runde geht auf mich. Ich halte in jeder Hand einen Becher, angeblich Wiener Melange, und auf einmal kommt es mir peinlich vor.
    Irgendwo in der Umgebung hier muss ein Café sein. Kann ich Sie auf einen ordentlichen Kaffee dorthin einladen?
    Entschuldigen Sie, aber das geht wirklich nicht. Sie wollen mit mir ein Interview machen – also fangen Sie an, ich bin knapp mit der Zeit.
    Sie nimmt sich einen der Becher und führt mich in den Raum, den ich, als ich vor einer Weile kurz reinsah, für einen Operationssaal gehalten habe. Und in der Tat, es ist ein Operationssaal. Eine erhöhte Liege und darüber eine große Operationslampe, ein Schränkchen mit Instrumenten, ein Waschbecken und außerdem noch ein Lavoir auf einem Fahrgestell, vor der Wand eine Art Pult und an der Wand zwei Grafiken, Kaltnadelradierungen: Schilf am Rande eines Teichs und eine Schnecke, die über ein großes Blatt kriecht. In diesen minimalistischen Raum jedoch hat jemand zwei große bequeme, ich würde sagenklassizistische, Armstühle mit einem Tischchen gleicher Herkunft gestellt. Wo sie sie in diesem kleinen, sparsam konzipierten Haus gelagert hatten, ist mir ein Rätsel. Und da schaut auch schon wer vom Personal herein und fragt, ob alles in Ordnung sei oder ob wir nicht noch was bräuchten. Frau Fraccaroli nickt, alles sei OK. Und der Kopf verschwindet aus der halb offenen Tür und schlägt sie hinter sich zu.
    Zuerst schweige ich einen Moment lang und sehe mir neugierig diese Dame an und schätze sie auf etwa über fünfzig. (Später erfahre ich, dass sie schon fast sechzig ist.) Ein sehr eigenartiges, schmales Gesicht, das in den dichten Locken des kupferfarbenen Haars nahezu verschwindet. Ein kurzes offenes Mäntelchen mit großen schlauchförmigen Taschen, die über die unteren Ränder überhängen, und ein Hosenrock. Alles in Oliv, kombiniert mit einem satten Orange. Nur am Mittelfinger der linken Hand ein schwerer Jugendstilring, höchstwahrscheinlich mit einem Smaragd. Ich sammle das in meinem Gedächtnis, um es später den Zuhörern beziehungsweise Zuhörerinnen vor der eigentlichen Aufzeichnung des Interviews lustvoll beschreiben zu können. Aber dann wird mir bewusst, wie ich mich um Gottes willen benehme, ich gaffe ja schamlos, so gefesselt bin ich von dem nicht alltäglichen Gesicht und dieser ganzen ungewöhnlichen Erscheinung. Frau Fraccaroli jedoch fallen die Anzeichen von Verlegenheit auf meinem Gesicht auf, und sie wischt sie sogleich mit ihrem Lächeln weg.
    Ich wurde schon darüber aufgeklärt, dass ich Ihnen mit Musik gar nicht erst kommen soll, dass das erst beimNachmittagsinterview fürs Fernsehen an der Reihe ist. Also werden wir uns nicht über Janáček und auch nicht über Alois Piňos unterhalten.
    Ich wollte einen kleinen Einwand machen, aber die Fraccaroli verjagte ihn mit einer graziösen Geste.
    Entschuldigen Sie sich nicht, das, was man ernste Musik nennt, das ist heute nur noch eine rein sektiererische Angelegenheit. Aber einer ganz kleinen musikalischen Ouvertüre werden wir uns dennoch nicht entziehen können. Nämlich wie ich nach Italien gekommen bin. Man schrieb das Jahr 1966, ich präzisiere, es war im April, und hier im Brünner Haus der Kunst wurde zum ersten Mal meine Symphonie Nummer 3 aufgeführt. Ganz zufällig war ein italienischer Komponist aus Salerno anwesend. Nein, überstürzen Sie nichts, er hat nicht Fraccaroli geheißen. Meine Komposition hat ihn stark angezogen. Sogar so unwiderstehlich, dass er mich zu treffen wünschte. Und im Café des Hotels Slavia teilte er mir dann mit, dass er für meine Symphonie den lateinischen Titel „Prima digestio fit in ore“ habe, was so viel wie „Der Beginn der
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