Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
Vom Netzwerk:
der Wand, und Kacheln lösten sich ab. Von hier führte eine Tür auf den Hof. Dort standen drei Bänke für die Patienten und ein großer Alublumentopf mit einem verkümmerten Bäumchen. Aber sonst war der Hof leer.
    Wir nahmen Platz. Vor uns öffnete sich der Blick auf Pawlatschenhäuser, das heißt in den Halbkreis, den diese bildeten und damit den Hof in einen abgeschlossenen Raum zwängten. Frau Fraccaroli hob eine leere Konservenbüchse vom Boden auf, die hier offenbar als Aschenbecher diente, und stellte sie neben sich auf die Bank, aber bevor sie sich eine anzündete, vollzog sie mit der Zigarette und den Zündhölzern ein kleines Ritual, das allerdings bei Weitem nicht an das Ritual herankam, das Thomas mit Zigarette und Feuerzeug zu vollziehen pflegte. Aber in dem Moment, als sie das Zündholz anstrich, fuhr sie bereits fort:
    Ich rede und rede die ganze Zeit und wahrscheinlich überhaupt nicht von dem, was Sie von mir erwarten. Wen kann es heute interessieren, dass mein Vater, Leutnant der Staatssicherheit, plötzlich wie in einem kosmischen schwarzen Loch verschwunden ist? Mama hat mir später viel von ihm erzählt. Eine Sache hat ihn damals ungeheuer belastet. Er war für einen bestimmten Brünner Architekten zuständig. Und auch für seine Schwester, die irgendeiner staatsfeindlichen Tätigkeit beschuldigt wurde. Sie sperrten sie ein, und wir zogen dann in ihre kleine Villa in Žabovřesky. Aber wir waren vielleicht nur eine Woche dort. Dann entschied Papa, wir müssten zurück in diese winzige zweitklassige Wohnung in dem alten Pawlatschenhaus in der Pekařská. Es war nämlich etwas Schreckliches passiert. Papa wechselte sich bei den Verhören mit der Schwester jenes Architekten mit einem weiteren Untersuchungsbeamten ab, und die Verhöre fanden in der Nacht statt, und dann erhängte sich die Schwester des Architekten, nachdem sie der Untersuchungsbeamte, der Papa ablöste, verhört hatte, gegen Morgen in ihrer Zelle. Auch das kam angeblich manchmal vor. Und manchmal war es die Nachlässigkeit jener, die für die Gefängniszellen zuständig waren, manchmal hingegen Absicht, das heißt vorsätzliche Nachlässigkeit, und manchmal glatter Mord. Aber angeblich hat sich nie jemand allzu sehr damit beschäftigt. Papa jedoch wollte eine Untersuchung einleiten, wie das hatte geschehen können. Er hat damit alle vor den Kopf gestoßen, niemand dort hatte dergleichen von ihm erwartet. Und selbstverständlich kam eine solche Untersuchung nicht infrage. Aber Papa bestanddarauf. Und als er es dann ablehnte, weiter in der Villa von der Schwester des Architekten zu wohnen, und in das Pawlatschenhaus in der Pekařská zurückging, wurde das nicht nur als eine Absonderlichkeit aufgefasst, sondern im Grunde genommen als eine Art Versagen von ihm. Und das war noch nicht alles. Papa erklärte angeblich die ganze Causa der Schwester des Architekten für eine abgekartete Sache und bestand darauf, dass es sich um Mord handelte, und forderte weiter mit aller Entschiedenheit, dass alles untersucht würde. Er wurde von dem Fall abgezogen, und ein paar Tage darauf ist er für immer verschwunden. Im Grunde ist das klar, oder? Sonnenklar.
    Frau Fraccaroli verstummte, aber ich wartete immer noch, was folgen würde, weil ich immer noch daran zweifelte, dass ausgerechnet das es war, was sie den Zuhörern des Brünner Radios anvertrauen wollte. Aber ich erfuhr kein Wort mehr. Jemand schaute in den Hof herein.
    Entschuldigen Sie, dass ich Sie störe, aber der Wagen wartet schon auf Sie.
    Frau Fraccaroli blickte auf ihre Uhr und sprang auf und entschuldigte sich, sie habe ganz auf die Zeit vergessen und müsse jetzt los.
    Ich war ziemlich bestürzt. Das, was ich mir bis jetzt angehört und aufgenommen hatte, war zwar interessant, zweifelsohne, aber ich war mir immer noch nicht sicher, ob es gerade das war, was man von mir erwartete, von der Begegnung mit der berühmten Komponistin, einer gebürtigen Brünnerin, aufzunehmen.
    Ich begleitete sie zum Wagen. Und es ärgerte mich ein wenig, dass es ihr, obwohl der Wagen halb leer war, nursie und der Fahrer, überhaupt nicht einfiel, mir anzubieten, sie könne mich auch mitnehmen beim Rückweg ins Zentrum. Aber dann sah ich schon, wie der Wagen wendete und statt ins Zentrum nach Židenice sauste.
    Ich packte meine paar Geräte (oder vielmehr Gerätchen, ein Rundfunkmagnetofon hat heute Platz in einer Westentasche) zusammen und lichtete ebenfalls die Anker. Zu meinem Ärger stellte ich jedoch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher