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Das Versprechen des Architekten

Das Versprechen des Architekten

Titel: Das Versprechen des Architekten
Autoren: Wilhelm Braumüller <Wien>
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schonfünfundvierzig Jahre nicht mehr hier wohne, schaffe ich es nicht, mich von diesem Haus zu befreien. Dieses Haus ist meine Falle. Er sah mich an, musterte mich, was ich dazu sagen würde. Ich sagte nichts.
    Jetzt bin ich aus dem Krankenhaus zurück, fuhr er fort, und während ich bei der Operation war, ist meine Mutter gestorben, und begraben ist sie auch schon. Ich bin schon am Zentralfriedhof gewesen. Über ihrem Grab ist ein Hügel aus Erde. Wenn ich in einem Jahr hinkomme, wird ihr Sarg abgesunken und zerfallen sein, und der Erdhügel wird einsinken. Und diesmal zuckte er hässlich mit dem Kopf. Und wieder sah er mich an und wartete, was ich dazu sagen würde. Ich sagte nichts. Er leckte sich die Lippen ab. Hör mal, sind wir noch Kumpel? Ich war jetzt im Antiquariat auf dem Kapuzinerplatz. Sie haben dort Rushdies „Mitternachtskinder“ und um nur hundertfünfzig Kronen. Nächste Woche würde ich dir die Kohle im Rundfunk bei der Pforte lassen. Wenn ich diesen Roman nicht kenne, kann ich mich als Schriftsteller ausstopfen lassen.
    Ich blechte hundertfünfzig Kronen.
    Weil ich aber damit rechnen musste, dass der Vorarbeiter der Bohrer beziehungsweise Mineure gerne das eine oder andere Bier spendiert bekommen würde, musste ich einen Umweg über die Česká machen, wo es einen Geldautomaten gibt.
    Der Vorarbeiter der Bohrer und Mineure saß neben einem Fenster mit Blick auf den Platz. Ich zweifelte nicht daran, dass er es war, er stach dort nämlich hervor mit seinergelben Arbeitsweste. Und neben ihm noch eine zweite gelbe Weste. Offensichtlich sein Zuarbeiter oder vielleicht Nachbearbeiter oder gar Sachbearbeiter.
    Der Vorarbeiter schnitt ein Gesicht: Hätte nicht rein zufällig eine Frau Redakteurin kommen sollen? Na, nichts, Sie sind gekommen, wir werden keine Tragödie daraus machen. Ich stell’ mir das folgendermaßen vor. Beim Mittagessen erzählen wir Ihnen alles Wesentliche über die Kollektoren hier in Brünn. Dann haben wir hier für Sie einen Helm und eine Weste, und Sie schauen mit uns hinunter. Und da werden Sie dann Augen machen, wie es dort aussieht.
    Aus der Speisekarte pickten sie sich selbstverständlich das Teuerste heraus, was es dort gab, Damwildragout. Zuerst erschrak ich, überlegte dann aber, dass das im Grunde nicht mehr meine Sorge war. Im Unterschied zur Strafe in der Straßenbahn und dem Almosen für Kratochvil sind das wohl dienstliche Ausgaben. Das Arbeitsessen in der Potrefená husa sollte der Rundfunk bezahlen, darf ich wenigstens hoffen. Ich selber suchte mir was ziemlich Gewöhnliches aus, ein Wiener Gulasch, damit Thomas, wenn ich ihm die Restaurantrechnung präsentieren würde, wüsste, dass ich die Situation nicht ausgenutzt hatte.
    Der Vorarbeiter und sein Kollege warteten unterdessen einfach geduldig, bis der Kellner ihnen das Essen bringen würde. Bis zu diesem Moment unterhielten sie sich nur miteinander, als wäre ich überhaupt nicht da. Aber sobald es ihnen der Kellner beidhändig serviert hatte, kostete erst mal der Vorarbeiter und lächelte seinem Kollegen auf-munterndzu und nickte. Sie stürzten sich voll Appetit über das Essen, und an den Bissen kauend und sie so herumwälzend, dass sie gründlich mit Speichel benetzt würden, begannen sie gleichzeitig, das Wort aneinander weiterzugeben, und sprachen so, wie man mit vollem Mund spricht, sodass mir ein Drittel der Worte entging, mit dem Damwildragout in ihren Schlünden verschwand. Dafür jedoch bespuckten sie mich beim Sprechen einträchtig mit miniaturgroßen Damwildfleischstückchen, beschossen mich mit diesen Liliput-Schrapnells, und ich brachte nicht den Mut auf, mir diesen Sprühregen vom Gesicht zu wischen, weil ich besorgt war, sie könnten beleidigt sein, dass ich die Intimität ihrer Münder verschmähe, und mir dann nicht das gewähren, was ich von ihnen verlangte, oder umgekehrt Vergnügen daran finden und mich umso mehr bespucken, ein umso intensiveres Geschützfeuer ihrer Artillerien auf mich konzentrieren, bis meine ganze Visage durchgehend von einer hauchdünnen Maske überzogen wäre und nur meine unentwegt zuckenden Lider sich jene Luken offen halten würden, durch die meine Augen wie verstörte Piepmätze blicken würden. Und dabei wurde mir gleich wieder, wie in letzter Zeit übrigens schon mehrmals, bewusst, dass ich ein unbestreitbares literarisches Talent besaß und selber Erzählungen und Romane schreiben und mich nicht bloß in der Literaturredaktion mit fremden Texten mopsen
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