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Desiderio - Wenn Engel fallen (Gay Gothic Stories) (German Edition)

Desiderio - Wenn Engel fallen (Gay Gothic Stories) (German Edition)

Titel: Desiderio - Wenn Engel fallen (Gay Gothic Stories) (German Edition)
Autoren: Carol Grayson
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Das Erbe des Schicksals  
     
    Seit seinem vierzehnten Lebensjahr quälte Corbinian jede Nacht der gleiche Traum: Ein junger Mann, dessen Gesicht er nicht deutlich erkennen konnte, überreichte ihn mit einem geheimnisvollem Lächeln einen Strauß roter Rosen, an denen er hingerissen schnupperte. Wenn er dann den Strauß, den er mit beiden Händen hielt, betrachtete, zerfielen die dichten Blüten in seine einzelnen Blätter, die Stiele verschwanden. Der Berg an Blütenblättern in seinen Händen zerfloss in seinen Händen zu einer Lache aus Blut, die sein entsetztes Gesicht widerspiegelte und langsam durch seine schmalen Finger rann. Das war der Zeitpunkt, an dem er jedes Mal schweißgebadet erwachte.
     
    Nur heute war es anders. Ein weiterer Traum folgte dem ersten: Er sah sich selbst in einem ihm unbekannten Zimmer stehen und sich vor einem großen, ovalen Spiel in einem wunderschönen, eleganten Brokatanzug zurechtmachen. Im Spiegel konnte er sehen, wie sich die Zimmertür hinter seinem Rücken öffnete und seinen Begleiter für diesen Abend offenbarte. Es war jener junge Mann aus seinem ersten Traum! Diesmal konnte er ihn deutlicher erkennen. Er war beeindruckt von diesen schönen, dunklen Augen in dem markanten Gesicht. Das schwarze Haar war hinten zu einem Zopf zurückgekämmt und betonte die hohen Wangenknochen. Er trug einen eleganten Anzug wie für einen Konzertbesuch und trat hinter ihm, um seine schlanken, gepflegten Hände auf Corbinians Schultern zu legen. Ein Schauer floss durch ihn hindurch wie eine leichte elektrische Entladung. Der nachtblaue Anzug hob die Blässe seiner Haut noch mehr hervor. 
    Die Hände des Fremden glitten über seine Arme bis zu seinen schmalen Hüften, die er umschlang, während seine Lippen seinen Nacken liebkosten. Corbinian schloss die Augen und genoss seine Zärtlichkeiten, wollte mehr. Dann … plötzlich war der Andere verschwunden. Er riss die Augen wieder auf und erblickte nur sich selbst allein vor dem Spiegel. Aber diesmal schien er um Jahre gealtert und er fror bis ins Mark. Das Schlimmste aber war diese unerträgliche Leere in seinem Herzen, die sich wie ein schwarzes Loch im All immer weiter fraß, bis er einen Namen hinausschrie, der ihn offenbar von dieser Qual erlösen konnte.
     
    Corbinian wälzte sich unruhig in seinem Bett hin und her. Er wollte aufwachen, doch es schien ihm nicht zu gelingen. Der Name „Dominic“ kam stöhnend von seinen Lippen. Woher kannte er diesen Namen? Endlich erwachte er mit Tränen in den Augen aus diesem Alptraum. 
    Als Corbinians klarer Verstand wieder einsetzte, blickte er sich erschrocken um. Er befand sich in seinem vertrauten Zimmer, das er seit Jahren bewohnte – eine karg möblierten Klosterzelle. Der Regen peitschte gegen das kleine Fenster. 
     
    Vor den Toren des Klosters des heiligen Antonius an der deutsch-französischen Grenze, dem heutigen Elsass, war Corbinian als Baby ausgesetzt worden, damals, vor genau achtzehn Jahren. Unter der Obhut der Brüder war er herangewachsen, ein erblühender Knabe mit blonden Locken, kristallgrünen Augen wie Bergseen und einigen Sommersprossen in einem lachenden Gesicht mit blassem Teint und schönen, rosigen Lippen. 
    Ein junger Mann war aus ihm geworden, gebildet aber arm. Reich in seinem Herzen, aber niemals so gläubig, wie die Mönche es gerne gesehen hätten.

Ein Gerücht ging um in den starken, alten Mauern des Klosters. Corbinian sei die verbotene Frucht einer Liebe zwischen einem jungen Priester und einer französischen Adeligen, die regelmäßig heimlich zum Beichten gekommen sei, ohne jemals die Kirche zu betreten. Unten im Dorf schien es ein offenes Geheimnis zu sein, war doch die Marquise einige Monate vor Corbinians Auffinden spurlos verschwunden. Die Klosterbrüder hatten das Findelkind liebevoll großgezogen und auf den Namen Corbinian Raphael Adorato getauft. 
     
    * * *
    Nach dem Frühstück an diesem Morgen rief der Abt des Klosters Corbinian zu sich. Der junge Mann in der schlichten grauen Novizenkutte betrat das spartanisch eingerichtete Büro mit den schweren, dunklen Holzmöbeln voller Ehrfurcht. Diese empfand er auch für den Abt Laurentius, er ihn mit einem strengen, aber gütigen Blick hinter seinem Schreibtisch musterte. 
    „Mein Sohn, du bist nun schon all die Jahre bei uns, und es wird Zeit, dich zu entscheiden“, begann der ganz in braun gekleidete Abt. Sein genaues Alter war schwer zu schätzen. Mühsam erhob er sich aus dem mit
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