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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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Garten, mit allem zu Ende gewesen. Und alles, auch mein Leben, wäre ganz anders verlaufen … Ich würde anderswo, in der Fremde, leben … Nicht wahr?«
    »Nicht ganz«, sagte er verwirrt. »Und es lag nicht nur an mir … Jetzt darf ich es ja vielleicht sagen. Tibor hat es mir damals verboten. Auch er hat geholfen. Als Freund des alten Gábor hat er sehr gern geholfen. Wir alle waren ihm das schuldig«, sagte er. Es schien ihm äußerst peinlich.
    »Oh, Tibor …«, sagte ich und begann nervös zu lachen.
    »So lebt man dahin«, sagte ich dann rasch, »und weiß von nichts. Weiß nicht, daß jemand sehr schlecht ist, und auch nicht, daß zur gleichen Zeit einem etwas sehr Gutes geschieht. Man kann auch gar nicht dafür danken. Aber um so schwerer ist es …«
    »Lajos wegzuschicken?« fragte er ernst.
    »Lajos wegzuschicken. Ja, das wird jetzt schwierig. Er geht natürlich nachher weg, zusammen mit seinen Kindern und diesen Leuten … Sie brechen bald auf, sie wollten noch bei Tag reisen. Lajos geht weg. Das Haus und den Garten aber … nun ja, die habe ich ihm geschenkt. Ich habe dieses Dokument unterschrieben … Und Sie, Endre, bitte ich, mit ihm zu sprechen, damit er für Nunu sorgt. Dieses einzige muß er versprechen. Nein, seine Versprechen sind natürlich gar nichts wert, da haben Sie recht … Man müßte es irgendwie juristisch einrichten … mit einem amtlichen Dokument, aber mit einem, das gültig ist … Einen Teil des Verkaufserlöses soll er für Nunu bestimmen. Die Arme braucht nicht mehr viel. Wäre das zu machen?«
    »Ja«, sagte er. »Alles ist zu machen. Aber Sie, Eszter, was wird aus Ihnen?«
    »Ja, was wird aus mir«, sagte ich. »Genau das ist die Frage. Lajos hat mir angeboten, von hier wegzugehen und in seiner Nähe zu leben … Nicht gerade mit ihm zusammen … Er hat es nicht so deutlich gesagt. Aber das ist auch gar nicht wichtig«, sagte ich rasch, als ich sah, daß er mich düster ansah und die Hand hob, um mich zu unterbrechen. »Ich möchte Ihnen, Endre, und Tibor und auch Laci, Ihnen allen, die so gut zu uns gewesen sind, erklären … Nunu brauche ich es nicht zu erklären, sie versteht es … Sie ist vielleicht die einzige, die am Ende versteht, daß alles genau so gemacht werden mußte, vor zwanzig Jahren, wie heute. Sie versteht es vielleicht. Ich glaube, das verstehen nur Frauen wirklich, Frauen, die nicht mehr jung sind und vom Leben nichts mehr erwarten können … So wie Nunu und ich.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte er mißmutig.
    »Ich will auch gar nicht, daß Sie es verstehen«, sagte ich und hätte gern seine Hand genommen oder mit den Fingerspitzen sein bärtiges, sorgenvolles altes Gesicht berührt, dieses traurige, kluge Männergesicht, das Gesicht eines Mannes, der sich mir nie aufgedrängt hat und dem ich trotzdem verdanke, daß ich zwanzig Jahre lang in einer menschenwürdigen, anständigen Umgebung leben konnte.
    »Sie sind ein Mann, Endre, ein hervorragender und wirklicher Mann, und Sie können nicht anders als bis zum Schluß logisch denken, so wie das Gesetz, der Brauch oder die Vernunft es vorschreiben. Wir Frauen aber können nicht immer so klug und logisch sein … Jetzt weiß ich, daß das nicht unsere Aufgabe ist. Wäre ich vor zwanzig Jahren wirklich weise und ehrlich gewesen, wäre ich in der Nacht aus diesem Haus davongelaufen, mit Lajos, dem Verlobten meiner Schwester, mit Lajos, dem Wechselfälscher, dem notorischen Lügner, dem Abschaum der Menschheit, wie Nunu sagen würde, die kräftige Ausdrücke liebt. Das hätte ich tun sollen, wenn ich mutig, klug und ehrlich gewesen wäre, vor zwanzig Jahren … Was wäre passiert? Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich nichts, nichts besonders Gutes oder Heiteres. Doch wenigstens hätte ich einem Befehl gehorcht, der stärker ist als die Gesetze der Welt und der Vernunft … Verstehen Sie? Ich nämlich habe es verstanden … So gut, daß ich Lajos und Éva dieses Haus schenke, denn ich schulde es ihnen … Alles, was ich noch habe, schulde ich ihnen … Und danach wird es schon irgendwie.«
    »Gehen Sie weg von hier?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich und fühlte mich mit einem Mal müde. »So genau nach Fahrplan weiß ich noch nicht, was mit mir wird. Jedenfalls möchte ich Sie bitten, dieses Dokument Lajos zu übergeben … Ja, ich habe es schon unterschrieben … Und Sie, Endre, fügen Sie einen strengen, offiziellen Paragraphen ein, damit das Wenige, das Nunu braucht, nicht von Lajos verschleudert
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