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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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jetzt?«
    »Was nützt es?« fragte ich. »Was nützt es, wenn ich es glaube, oder zugebe, oder akzeptiere? Was soll das jetzt noch?« fragte ich, und meine Stimme klang so fremd, als hätte jemand im Nebenzimmer gesprochen.
    »Deswegen bin ich gekommen«, sagte er leiser, denn es dunkelte auch im Zimmer, und wir dämpften unwillkürlich unsere Stimmen, als würde mit der Dämmerung alles konturloser, das, was wir uns zu sagen hatten, genauso wie die Gegenstände. »Ich möchte, daß du weißt, daß man zwischen den Menschen nichts willkürlich beenden, vor der Zeit aufgeben kann … Man kann nicht!« sagte er mit einem befriedigten Lachen. Es war, als riebe er sich die Hände wie ein Kartenspieler, der zu seiner größten Überraschung und Freude merkt, daß er ein schon verloren geglaubtes Spiel gewonnen hat.
    »Du bist mit mir verbunden, auch jetzt, da Zeit und Entfernung alles vernichtet haben, was wir einmal zwischen uns aufgebaut haben. Verstehst du jetzt? Du bist für alles, was im Leben mit mir geschehen ist, verantwortlich, genauso wie auch ich für dich und deinetwegen verantwortlich bin … auf meine Art … ja, auf Männerart. Irgendwann mußtest du das erfahren. Du mußt mitkommen, mit mir, mit uns. Nunu nehmen wir auch mit. Hör zu, Eszter, ein einziges Mal mußt du mir doch glauben. Was könnte ich für ein Interesse haben, etwas anderes zu sagen als die Wahrheit, die letztendliche, tödlich wahre Wahrheit? … Die Zeit brennt alles, alle Lügen, aus uns heraus. Was bleibt, ist die Wahrheit. Es bleibt, daß du mit mir verbunden bist, und wenn du auch geflohen bist, und wenn ich auch der war, der ich war und noch bin … Ja, ich glaube auch nicht, daß man sich ändern kann … Du bist mit mir verbunden, auch dann, wenn du weißt, daß ich mich nicht geändert habe, daß ich der alte bin, der Gefährliche, der Unzuverlässige. Dagegen kannst du nichts machen. Sieh mir doch in die Augen … Warum läßt du den Kopf so hängen? Warte, ich will die Lampe anzünden … Gibt es hier noch immer keine Elektrizität? … Es ist ja schon ganz dunkel.«
    Er ging zum Fenster, schaute hinaus und machte dann die Läden zu. So, im Dunkeln stehend, fragte er: »Warum siehst du mich nicht an?«
    Als ich nicht antwortete, sagte er aus der dämmrigen Entfernung: »Wenn du so sehr recht hast, warum siehst du mir dann nicht in die Augen? Ich habe keinerlei Macht über dich. Ich habe keine Rechte. Und doch bist du mir gegenüber machtlos. Du kannst mich zwar wegschicken, aber machen kannst du nichts gegen mich. Du kannst mich verklagen, und gleichzeitig weißt du, daß du der einzige Mensch bist, vor dem ich unschuldig bin. Und eines Tages bin ich freiwillig zurückgekommen … Glaubst du noch an Wörter wie Stolz? Zwischen Menschen, die das Schicksal aneinander gefesselt hat, gibt es keinen Stolz. Du kommst mit uns. Wir bringen alles in Ordnung. Und dann? Dann leben wir. Vielleicht hält das Leben noch etwas bereit. Wir werden in Stille leben. Die Welt hat mich schon vergessen. Du wirst dort mit mir, mit uns leben. Es ist gar nicht anders möglich«, sagte er laut und gereizt, als hätte er etwas endgültig begriffen, etwas, was so einfach und sonnenklar ist, daß es peinlich wäre, weitere Worte darüber zu verlieren. »Ich will von dir nichts anderes, als daß du einmal, ein letztes Mal im Leben, dem Befehl gehorchst, der den Sinn und Inhalt deines Daseins ausmacht.«
    Ich sah ihn im Dunkeln kaum mehr.
    »Hast du mich verstanden?« fragte er leise aus der Distanz. Er schien aus der Vergangenheit zu sprechen.
    »Ja«, sagte ich unwillkürlich, wie in einem Traum.
    In diesen Augenblicken fühlte ich eine seltsame Benommenheit, wie sie der Schlafwandler spüren mag, wenn er zu seinem gefährlichen Spaziergang aufbricht. Ich verstand alles, was um mich herum geschah, ich verstand die Bedeutung meiner Worte und Handlungen, ich sah die Menschen um mich herum deutlich, sah auch das, was sonst von gewohnten Verhaltensweisen verhüllt wird; und gleichzeitig wußte ich, daß ich nicht bei Sinnen war, während ich doch vernünftige und eindeutige Handlungen vollzog – nicht ganz bei Sinnen, nicht ganz wach. Ich war ruhig, beinahe gut gelaunt. Ich fühlte mich leicht und sorglos. Etwas hatte ich in diesem Augenblick tatsächlich verstanden: etwas hinter Lajos’ Worten, etwas, das stärker, vernünftiger und gebieterischer war als alles, was er gegen mich oder zugunsten seiner Pläne hatte zusammenschwatzen können.
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