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Das Vermächtnis der Eszter

Das Vermächtnis der Eszter

Titel: Das Vermächtnis der Eszter
Autoren: Sándor Márai
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weiß, daß du von mir redest. Aber ich habe genug davon, immer nur die Schablone abzugeben für irgendwelche verlogenen Ideen. Nimm das endlich zur Kenntnis. Es hat jetzt zwar überhaupt keinen Sinn mehr, so etwas zu sagen … Aber vielleicht hast du recht, vielleicht kann man nicht ein Leben lang schweigen. Ich glaube nicht an deine Theorien, Lajos, sondern an die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit sieht so aus, daß du mich betrogen hast. ›Mit mir gespielt‹, wie man es früher romantisch gesagt hätte. Du bist ein komischer Kartenspieler … Einer, der statt mit Karten mit Gefühlen und mit Menschen spielt. Ich war eine der Damen im Spiel. Dann bist du aufgestanden und weitergegangen … Warum? Weil es dir verleidet war. Du bist einfach weitergegangen, weil dich die Sache langweilte. Das ist die Wahrheit. Das ist die furchtbare, unmoralische Wahrheit. Eine Frau mag man wegwerfen wie eine Streichholzschachtel. Man tut es vielleicht aus Leidenschaftlichkeit, oder weil man so beschaffen ist, daß man sich an keine Frau zu binden vermag, oder weil man nach Höherem strebt und alle und alles als Mittel benutzt. Das alles kann ich verstehen … Es ist eine Gemeinheit, aber sie hat etwas Menschliches. Aber jemanden aus Zerstreutheit wegzuwerfen … Das ist mehr als gemein. Dafür gibt es keine Entschuldigung, denn es ist unmenschlich. Verstehst du jetzt?«
    »Aber ich habe dich doch gerufen, Eszter«, sagte er ganz still. »Erinnerst du dich nicht mehr? Ja, ich war schwach. Aber im letzten Augenblick bin ich zur Besinnung gekommen, ich habe begriffen, daß nur du mir helfen kannst. Ich habe dich gerufen, dich angefleht. Erinnerst du dich nicht an meine Briefe?«
    »Ich weiß von keinen Briefen.« Ich hörte erschrocken, wie ungewohnt scharf, fast kreischend meine Stimme war. »Das alles ist gelogen. Die Briefe sind gelogen, genauso wie der Ring und überhaupt alles, was du mir gesagt oder versprochen hast. Ich weiß von keinen Briefen, und ich glaube auch an keine Briefe. Vorhin habe ich von Éva gehört, sie habe irgendwelche Briefe gefunden … In der Rosenholzschachtel … Wie soll ich wissen, wieviel davon wahr ist. Dir glaube ich nicht! Auch Éva glaube ich nicht! Der Vergangenheit auch nicht! Alles Lügen, ein abgekartetes Spiel, eine Theaterszene mit Theaterversatzstücken, mit alten Briefen und alten Schwüren. Ich gehe nicht mehr ins Theater, Lajos. Schon seit fünfzehn Jahren nicht, nirgends gehe ich hin. Ich kenne die Wirklichkeit, verstehst du? Die Wirklichkeit! Schau mich an! Das ist die Wirklichkeit! Schau mir in die Augen! Ich bin alt. Das Leben ist vorbei, wie du vorhin so ergreifend gesagt hast. Jawohl, vorbei, und du bist der Grund, warum es auf diese Art vorbeigegangen ist, so leer, so verlogen, das ist der Grund, warum ich allein geblieben bin wie eine alte Jungfer, die mit ihren Gefühlen zu sparsam umgegangen ist und sich am Ende Hunde und Katzen zulegt. Du weißt aber, daß ich nie sparsam umgegangen bin, daß ich nie Hunde und Katzen gehalten habe … Ich habe mir Menschen gehalten!«
    »Ja«, sagte er sachlich, aber auch mit schuldbewußt gesenktem Kopf. »Das ist sehr gefährlich.«
    »Ja, das ist es.« Ich verstummte. Ich hatte noch nie so viel auf einmal und so leidenschaftlich gesprochen. Jetzt war mir der Atem ausgegangen.
    »Lassen wir’s eben«, sagte ich. Ich fühlte plötzlich eine Schwäche, wollte aber nicht weinen. Ich saß aufrecht, mit verschränkten Armen und wahrscheinlich kreidebleich, denn Lajos fragte erschrocken: »Möchtest du ein Glas Wasser? Soll ich jemanden rufen?«
    »Nein, ruf niemanden. Es ist nicht wichtig. Offenbar bin ich nicht mehr gesund. Schau, Lajos, solange man mit einem Menschen noch so steht, daß man an seinen Worten oder seinen Gefühlen zweifelt, so lange kann man das Leben oder die Beziehung immerhin auf eine Art losen Grund bauen. Das mag ein »Sumpf« sein oder »Treibsand«, wie man sagt. Man weiß, daß das Aufgebaute eines Tages zusammenbrechen wird … Und doch ist in dem Unterfangen etwas Reales, Menschliches und Schicksalhaftes. Wer aber vom Schicksal damit geschlagen ist, daß er auf dich bauen muß, der hat das schlechteste Los erwischt, denn eines Tages wird er erkennen müssen, daß er in die Luft hinausgebaut hat, ins Nichts. Andere lügen, weil sie so beschaffen sind, oder weil es in ihrem Interesse ist, oder weil es der Augenblick verlangt. Du hingegen lügst so, wie der Regen fällt. Du lügst mit Tränen, du lügst mit Taten. Das muß
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