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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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Papierschnipsel auf etwas legt, das ein Pickel oder eine Wunde vom Rasieren sein muss. Ich kann sehen, wie das Blut durch das dünne Papier dringt und auf seiner Wange zu einer kleinen Rose heranwächst.
    »Nein, denn ich meine nicht den heutigen Bowie. Ich liebe die Version aus den siebziger Jahren, du weißt, diesen androgynen, sehnigen, punkigen Typen. Den, der witzige Texte geschrieben und Mick Jagger seine Frau geliehen hat. Oder war es umgekehrt? Nein, ganz anders, die beiden waren miteinander im Bett, er und Mick. Oder wie?«
    »Du bist verrückt, weißt du das?«
    »Ich habe niemals etwas anderes behauptet.«

Fallbesprechung in der Praxis.
    Elin blättert unsicher in dem Papierstapel, der auf dem elliptischen Birkenholztisch liegt.
    Sie kratzt sich ein wenig in den verfilzten schwarzen Haaren.
    »Wo ist das denn geblieben? Eben war es doch noch hier! Das ist doch total krankhaft!«
    Plötzlich sieht sie verwirrt aus. Und viel jünger als ihre fünfundzwanzig Jahre. Denn trotz der kräftigen Schminke und dem Piercing in Nase und Lippe wirkt sie seltsam jung und zerbrechlich.
    Unberührt.
    Vielleicht sogar unschuldig.
    Als versuchte sie, das Gegenteil zu beweisen, trägt sie Kleider, die an alles andere denken lassen als an Unschuld: kurze schwarze Trikotkleider, Netzstrümpfe, zerfetzte Jacken, grobe Stiefel, Ketten und Nieten. Ab und zu scheint sie das viele Schwarz sattzuhaben, und dann erscheint sie in rosarot gestreiften Leggings und Kapuzenjacke. Es ist schon vorgekommen, dass Klienten sich beklagt haben. Aber die meisten reagieren nicht auf Elins Aussehen.
    Sven räuspert sich ein paarmal. Seine Geduld mit Elin ist wie üblich begrenzt. Ihre Anwesenheit scheint ihn zu provozieren. Und vielleicht ist das ja auch der Fall, denn Elin steht vor einer unlösbaren Aufgabe: Sie soll den Leerraum füllen, den Marianne hinterlassen hat, unsere frühere, unsäglich vermisste, multikompetente Rezeptionistin.
    Elins Arbeit bei uns ist eine Wiedereingliederungsmaßnahme, sie war wegen Burnout krankgeschrieben. Wir haben sie über das Jobcenter bekommen. Niemand von uns, nicht einmal Elin selbst, weiß, wie lange sie bleiben wird. Und ich stelle mir vor, dass das für sie ein Stressmoment darstellen muss.
    Aina und ich mögen Elin aus intuitiven und vielleicht recht vagen Gründen. Wir müssen zugeben, dass sie nicht sonderlich viel leistet. Ich staune immer wieder, wie lange sie braucht, um Klienten einzubestellen, Krankenberichte herauszusuchen oder einfach zur Götgata hinunterzugehen und Zimtschnecken zu kaufen. Außerdem ist sie furchtbar schusselig – keine wünschenswerte Eigenschaft für eine Rezeptionistin, die den Papierkram der Praxis erledigen soll. Sie verlegt Notizen, lässt vertrauliche Dokumente wie Krankenberichte im Wartezimmer liegen, verliert Schlüssel und vergisst den Anrufbeantworter der Praxis abzuhören, weshalb alle Terminabsagen irgendwo im Nirgendwo landen.
    Aber sie ist ungeheuer lieb. Und sie möchte uns so gern gefällig sein. Deshalb sind wir nachsichtig, was ihren fehlenden Ordnungssinn und ihr besonderes Aussehen angeht.
    »Aber was hast du denn da in der anderen Hand?«, fragt Sven und zeigt auf die Papiere, die Elin in der linken Hand hält, während sie mit der rechten den Papierstapel durchwühlt.
    »Ach.«
    Elin errötet unter ihrer Schminke und schiebt das Papier mitten auf den Tisch.
    »Entschuldigung, ich weiß nicht, wo ich mit meinen Gedanken bin. Aber hier ist es jedenfalls. Vom Ärztezentrum Fruängen, okay, okay, Frau, geboren 1975, sie schreiben posttraumatisches Stress-Syndrom, Fragezeichen, nach dem Autounfall, bei dem ihre Schwester und ihre Mutter ums Leben gekommen sind. Mal nachsehen, das muss jetzt drei Jahre her sein. Hm, wer nimmt sie? Sven, bist du nicht supergut bei PTSD ?«
    Sven nimmt die Brille ab und massiert sein runzliges, aber noch immer attraktives Gesicht. Seine welligen Haare, fast grau jetzt, fallen ihm wie ein Vorhang über die Stirn.
    Sven Widelius ist der mit Abstand erfahrenste Therapeut in unserer Praxisgemeinschaft, und in all den Jahren hat er sein Wissen und seine Erfahrungen immer freigebig mit uns geteilt.
    »Bitte, Elin, ich glaube, ich habe dir das schon am Montag gesagt, und ich glaube, auch in der Woche davor, dass ich im Moment keine neuen Klienten nehmen kann. Ich habe ganz einfach keine Zeit. Dieses Essstörungsprojekt verschlingt wahnsinnig viel Energie.«
    Seine Stimme ist heiser, und hinter seinen Worten liegt eine nur schlecht
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