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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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der Diele sind erregte Stimmen und dann ein Krachen zu hören. Ein dumpfes Dröhnen auf dem Boden, wie von etwas, das wieder und wieder fällt. Sie wünscht sich, dass sie bald aufhören, so einen Lärm zu veranstalten. Oder dass ihre Mutter diese goldenen Bierdosen wegschmeißt, die Henrik so sauer und gereizt und müde machen.
    Sie bückt sich ganz tief, damit sie unter der Tischdecke hervorlugen kann. Jetzt wird laut gerufen, aber irgendetwas stimmt nicht. Die Stimmen klingen unbekannt. Henrik hört sich nicht so an wie sonst.
    Die Diele liegt im Dunkeln.
    Sie kann da draußen Körper erahnen, die sich bewegen, aber sie kann nicht sehen, was passiert.
    Dann: ein Schrei.
    Jemand, es ist ihre Mutter, wie sie erkennt, fällt hilflos vornüber auf den Küchenboden. Landet auf dem Bauch, mit dem Gesicht nach unten, und sie kann jetzt dort, wo der Kopf ihrer Mutter ruht, eine rote Blutlache sehen, die wächst. Ihre Hände packen die Küchenmatte, wie um sich daran festzuhalten, und sie versucht, ins Zimmer zu kriechen, während gleichzeitig aus der Diele etwas Kleines, Blankes und Goldglänzendes in die Küche rollt.
    Jemand, ein Mann, flucht draußen im Flur. Seine Stimme ist dunkel und irgendwie brüchig. Dann kommt er in die Küche. Er bückt sich, fängt den kleinen Gegenstand wieder ein.
    Sie wagt es nicht, ihren Kopf herauszustrecken, um nachzusehen, wer es wohl ist, aber sie sieht die schwarzen Stiefel und die dunklen Hosenbeine, die beim Kopf ihrer Mutter anhalten, eine Sekunde zögern und dann zutreten, immer wieder ins Gesicht treten. Bis das ganze Gesicht sich zu lösen scheint, wie eine Maske von einer Puppe, und ein roter, komischer Brei herausquillt und sich auf der Matte vor ihrer Mutter eine Pfütze bildet. Die schwarzen Stiefel sind ebenfalls von diesem Brei bedeckt, der langsam zu Boden tropft wie geschmolzenes Eis.
    Es wird still, abgesehen von der Musik, die noch immer aus dem Radio strömt, und sie wundert sich, wie es möglich ist, dass die Musik immer weitermacht, als ob nichts passiert wäre, obwohl ihre Mutter doch auf dem Küchenboden liegt wie ein Haufen schmutziger Wäsche, in einem See aus Blut, der mit jeder Sekunde größer wird.
    Mutters Atemzüge sind lang und röchelnd. Als ob sie gerade eiskaltes Wasser geschluckt hätte.
    Dann sieht sie, wie ihre Mutter in die Diele gezogen wird, Zentimeter um Zentimeter. Sie hält noch immer die Küchenmatte umklammert, und die folgt ihr hinaus in den dunklen Flur.
    Das Einzige, was auf dem sahnehellen Linoleumboden noch übrig ist, sind der Blutsee und dieser komische Brei.
    Sie zögert eine Weile, aber dann fährt sie fort, sie auszumalen, die graue Gewitterwolke.

Stockholm, zwei Monate vorher

Vijays Büro. Ein unendlich großer Schreibtisch, dessen Platte von Papieren überhäuft ist. Wie kann er zwischen diesen Tausenden von Papieren, Ordnern und Zeitschriften nur das zielsicher herausgreifen, was er sucht?
    Auf einem Stapel von etwas, das aussieht wie Aufsätze, thront sein Laptop. Ein superdünner Mac. Vijay war schon immer ein Mac-Fan. Daneben eine Tasse Kaffee und eine Bananenschale. Eine Dose Lutschtabak liegt halb versteckt unter einem Rundschreiben der Universitätsleitung.
    »Priemst du jetzt neuerdings?«
    Aina schaut Vijay skeptisch an und verzieht angewidert das Gesicht.
    »Mhm … notgedrungen, Olle hatte was gegen die Raucherei, aber mit Snus kann er leben.«
    Vijay lacht, und Aina schüttelt mitfühlend den Kopf.
    »Schade! Ich hatte gedacht, wir könnten mit dem Kaffee nach draußen gehen, um uns im kalten Wind eine Fluppe zu teilen, alte Erinnerungen wach werden lassen und so.«
    Wir lachen alle drei und denken für einen Moment daran, wie wir einst in Regen, Schnee und sengender Sonne draußen standen, im Winter wie im Frühling. Zum Rauchen und zum Kaffeetrinken. Damals, als das Leben noch nicht so kompliziert war. Oder vielleicht wirkt es auch nur so, weil der Abstand zwischen damals und heute größer geworden ist. Weil das, was einmal Jetzt war, weit weg liegt, in der Vergangenheit.
    Aina, Vijay und ich kennen uns noch aus alten Studententagen, wir studierten damals beide an der Universität von Stockholm Psychologie. Aina und ich entschieden uns dann nach dem Examen für die Praxis, Vijay wollte die akademische Laufbahn einschlagen und machte seinen Doktor. Jetzt, zehn Jahre später, ist er Professor für forensische Psychologie genau an dem Institut, an dem er damals studierte.
    Ich betrachte ihn. Die schwarzen Haare,
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