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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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mittlerweile von grauen Schläfen durchzogen. Der wild wuchernde Schnurrbart, ein zerknittertes blau-weiß gestreiftes Baumwollhemd. Er sieht nicht aus wie ein Professor, aber vielleicht ist es ja das, was Professoren auszeichnet.
    Das Fehlen eines gemeinsamen stilistischen Nenners. Was weiß ich, ich kenne nicht so viele. Aber wie auch immer, es lässt sich nicht leugnen, dass er älter geworden ist, genau wie Aina und ich. Älter, möglicherweise klüger, vielleicht auch nur müder und abgeklärter durch die Erkenntnis, dass das Leben nicht ganz so geworden ist, wie wir uns das damals vorgestellt hatten.
    »Ich lasse mich ja gerne überreden. Olle ist zu einem Kongress nach Reykjavik gefahren, der kriegt also nichts davon mit.«
    Vijay greift zur Tabaksdose und zupft zerstreut am Etikett herum. »Aber«, sagt er dann, »ich habe euch nicht deshalb hergebeten, weil ich mit euch über meine Rauchgewohnheiten diskutieren wollte.«
    Aina und ich nicken zustimmend. Wir wissen, dass Vijay uns einbestellt hat, weil er eventuell einen Auftrag für uns hat, und dafür sind wir ihm dankbar. Auch Psychotherapeutinnen kennen Konjunkturtiefs, und größere Projekte von staatlichen Kunden sind immer herzlich willkommen.
    »Es geht um ein Forschungsprojekt, in dem untersucht werden soll, welche Bedeutung Selbsthilfegruppen für Frauen mit Gewalterfahrungen haben. Unsere Zielgruppe sind Frauen, die gefährdet für die Entwicklung von posttraumatischen Belastungsstörungen sind, die aber aus unterschiedlichen Gründen keine herkömmliche Behandlung wollen. Das Ganze ist eine Kooperation der Gemeinde Värmdö mit der Universität Stockholm.«
    Vijay ist in seine professionelle Rolle geschlüpft. Seine Augen glühen, und seine Wangen röten sich. Er hat eine leidenschaftliche Beziehung zu seiner Arbeit. Betrachtet sie nicht als Job, als Broterwerb, sondern eher als Lebensstil und möglicherweise auch als sinnstiftend. Außerdem könnte man sagen, dass es seiner Eitelkeit schmeichelt. Er liebt die Autorität, die der Professorentitel ihm verleiht. Der Experte sein zu dürfen, der es am besten weiß.
    Vijay ist oft in den Medien präsent, wo er sich über Verbrechen und deren mutmaßliche Ursachen äußert. Es wäre leicht, zu psychologisieren, zu glauben, dies würde sein Bedürfnis nach Rache befriedigen. Der mit Vorurteilen kämpfende Zuwanderer, marginalisiert aufgrund ethnischer Herkunft und sexueller Veranlagung. Aber die Wahrheit sieht anders aus. Vijays Eltern sind gutbetuchte Akademiker, die im Zuge von Forschungsstipendien nach Schweden kamen und schließlich blieben. An seiner Homosexualität hat seine Familie nie Anstoß genommen. Es gibt noch drei Brüder, die den Eltern die ersehnten Enkelkinder liefern. Vijay gilt als exzentrisch, aber als nicht minder erfolgreich.
    »Was hat das mit uns zu tun, wo es doch um Selbsthilfe geht?« Aina unterbricht Vijays Ausführungen, was ihm eigentlich überhaupt nicht gefällt.
    »Dazu komme ich noch, ein wenig Geduld bitte.«
    Er unterbricht sich, öffnet die Tabaksdose, stopft sich einen Priem unter die Oberlippe und redet dann weiter.
    »Es geht darum, dass ihr die Pilotstudie leiten sollt. Um zu überprüfen, ob unsere Vorgehensweise stimmt, und herauszufinden, ob wir etwas vergessen haben oder andererseits etwas weglassen können.«
    »Psychoedukation und Selbsthilfe, das klingt irgendwie nicht nach KBT, finde ich.« Aina sieht skeptisch aus, und Vijay lächelt fröhlich.
    »Es geht auch nicht um KBT, jedenfalls nicht strenggenommen. Aber das bedeutet ja nicht, dass es wirkungslos ist. Ihr wisst, dass die Nachfrage nach ausgebildeten Psychotherapeuten mit Schwerpunkt KBT das Angebot übersteigt. Wir können aber ein niederschwelliges Angebot bieten, von dem wir wissen, dass es bei posttraumatischen Belastungsstörungen und Traumata hilft. Außerdem haben Selbsthilfegruppen, besonders für Menschen, die zum Opfer geworden sind, besondere Vorteile. Sie geben ein Gefühl von … von Kontrolle. Empowerment. Ach … ihr wisst schon, was ich meine.«
    »Empowerment?«
    Aina sieht noch immer skeptisch aus und schaut mich an, wie auf der Suche nach einem Zeichen, einem Signal dafür, was ich von dem Ganzen halte.
    »Und wie ist der Plan?«
    Ich bin neugierig und will mehr darüber hören, wie die Sache ablaufen soll.
    »Regelmäßige zweistündige Treffen. Jeder Termin beginnt mit einem Unterrichtsteil, zu den Folgen eines Traumas, zu Männergewalt gegen Frauen, Informationen über
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