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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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verhohlene Irritation, die keiner von uns entgeht, obwohl Sven sich Mühe gibt, ein bekümmertes Gesicht zu machen.
    »Ach, entschuldige. Ich wusste nicht …«
    Elin sieht verwirrt aus und zupft an ihrem Lippenpiercing, was den Anschein erweckt, sie hätte sich einen riesigen Priem unter die Oberlippe gestopft. Ich ärgere mich über Sven, weil er wie immer auf Elin herumhackt. Wir wissen alle, dass er Probleme hat. Seine Frau, Birgitta, hat ihn und das große Haus in Bromma nach mehr als dreißigjähriger Ehe verlassen und wohnt in einer Einzimmerwohnung auf Södermalm. »Sie muss mich doch hassen, wenn sie in diesem Rattenloch biwakieren will«, war alles, was Sven über diese Angelegenheit sagen wollte.
    Aber alle, die Sven kennen, wissen, warum Birgitta gegangen ist. Sven war, solange ich ihn kenne jedenfalls, notorisch untreu. Tatsache ist, dass alle sich fragen, wie Birgitta es überhaupt so lange mit ihm ausgehalten hat. Sie ist nicht gerade ein unterdrücktes Weibchen, sie ist Professorin für Geschlechterforschung an der Universität Uppsala. International anerkannt. Oft in den Medien.
    Aina sieht mich mit düsterem Blick an.
    Aina. Meine beste Freundin und Partnerin. Zu sagen, dass wir fast alles teilen, wäre nicht übertrieben. Wir verstehen uns blind, und wie fast immer ahne ich, was sie sagen wird, noch ehe sie das Wort ergreift.
    »Ehrlich gesagt, wir haben alle viel zu tun. Du weißt, dass ich vorigen Monat fast zweihundert Stunden in Rechnung stellen musste. Und Siri … also, Sven, du musst leider auch dein Teil zu dem Ganzen beitragen.«
    Aina, die ihre langen blonden Haare geflochten hat, zieht gereizt an ihrem Zopf und starrt ihn herausfordernd an.
    »Ich kann sie nehmen!«, sage ich.
    Es wird still, während Sven, Aina und Elin mich gleichzeitig anschauen. Es ist eine bekannte Tatsache, dass sie alle finden, ich arbeite zu viel. Elin fährt sich nervös über die schwarzen Jeans und schaut fragend zu Aina hinüber.
    Ich kichere.
    »Na los, greift zu. Ich biete mich doch aus freien Stücken an.«
    Aina steht wortlos auf, wischt sich Krümel von der Jeans und zieht die mit Fransen besetzte lila Wolljacke fester um sich zusammen. Sie geht zur Teeküche, um sich neuen Kaffee zu holen, und sagt, sozusagen im Vorübergehen:
    »Und das hältst du also für eine gute Idee?«
    »Nicht schlechter, als bei jeder Fallbesprechung zuhören zu müssen, wie ihr euch über die Arbeitsverteilung fetzt.«
    Aina ist wieder zurück, sie steht vor dem Tisch, mit einem verbissenen ernsten Gesicht, das mich fast zum Lachen bringt.
    »Na gut, dann werde ich sagen, was ich davon halte. Siri, du tust nichts, außer zu arbeiten. Du müsstest dir irgendwelche Interessen zulegen oder so. Ich kann wirklich nicht zulassen, dass du noch mehr Klienten übernimmst, während du, Sven, zugleich … in der vergangenen Woche warst du doch so gut wie gar nicht hier. Das ist nun wirklich nicht sonderlich solidarisch.«
    »Und seit wann trage ich die alleinige Verantwortung für neue Klienten? Ich habe vorige Woche die beiden aus der psychiatrischen Tagesklinik übernommen. Und den Typen von der Gesundheitsaufsicht der Baubehörde. Ihr könnt doch wohl nicht allen Ernstes behaupten …«
    Plötzlich wirft Sven seine elegante Stahlbrille auf den Tisch, springt auf, schnappt sich seinen braunen Cordmantel und verlässt vor sich hin brummelnd das Zimmer.
    Aina unterdrückt ein Kichern.
    »Was sind wir doch verdammt dysfunktional!«
    Jetzt lacht auch Elin. Zaghaft.
    »Wie dem auch sei«, sagte Aina. »Du nimmst keine neuen Klienten, Siri. Um dieses Mädel muss Sven sich kümmern.«
    Elin sieht plötzlich wieder verwirrt aus.
    »Und wie soll … wirst du es ihm sagen, oder? Denn ich kann nicht … dann wird er nur …«
    »Das kannst du mir glauben, dass ich das kann. Und es wird kein Problem geben«, erwidert Aina grinsend.
    Und ich zweifle keine Sekunde daran.

Ich mache eigentlich keine Paartherapie. Irgendwie zweifele ich an meiner Fähigkeit, Menschen mit Liebesproblemen helfen zu können, vielleicht, weil mir meine eigenen Liebesbeziehungen nie sonderlich gut zu gelingen scheinen, aber derzeit habe ich nun doch ein Paar in Behandlung. Sie haben schon lange Probleme in ihrer Beziehung, und im vergangenen halben Jahr hat noch dazu Mia, wie die Frau heißt, sich bei ihrer Stelle als Texterin in einem kleinen Werbebüro krankschreiben lassen. Der Hausarzt hat Mia unsere Praxis empfohlen – wir arbeiten mit einigen Hausärzten hier auf
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