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Frau Prinz pfeift nicht mehr

Titel: Frau Prinz pfeift nicht mehr
Autoren: A Scheib
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    Die Bewohner der Max-Ernst-Straße liebten ihre Hunde, ihre Häuser, ihre Religion und ihre Partei. So einen Schrei, wie er
     am Dienstag, dem 2.   Februar, plötzlich in der ruhigen Mittagsstunde aufstieg, hoch und anhaltend hysterisch, voll Entsetzen und Lust am Schrecklichen,
     solch einen Schrei liebten sie nicht. Bayern schrien höchstens für die Sechziger oder für Bayern München, und daher war es
     nur natürlich, daß es eine Preußin war, Frau Tinius, die am Gartenzaun der Nummer 75 stand und nach einem Arzt rief, nach
     einem Pfarrer, nach der Polizei, welche letztere, von irgend jemandem benachrichtigt, sich rasch durch Blaulicht und Sirene
     ankündigte. Kunststück, wo das Revier um die Ecke war.
     
    Immer mehr Leute liefen vor der Nummer 75 zusammen, drängten sich durch bis ganz nach vorn, aber niemand trat durch |6| die Tür zum Vorgarten, obwohl die offenstand. Frau Tinius starrte in einer Mischung von Entsetzen und Behagen durch den Zaun,
     murmelte abund zu »ach du heiliger Bimbam, die Frau Prinz«.
    »Lassen Sie gefälligst unsere Heiligen aus dem Spiel, Sie haben die Frau Prinz ja gar nicht gemocht«, wurde Frau Tinius von
     Frau Schierl korrigiert, die es für die höchste und lebenslang ausreichende Eigenleistung hielt, als Bayerin geboren zu sein,
     und sie duldete es nicht, daß eine Preußin mit bayerischen Werten fahrlässig umging. Die traditionelle, in manchen Bayern
     stets abrufbereite Abneigung gegen die Zugereisten stieg hoch in Frau Schierl. Doch schon vereinte die Ankunft der Gesetzeshüter
     Preußen und Bayern wieder zu gesammelter Aufmerksamkeit.
     
    Zwei Polizisten stiegen aus dem Streifenwagen, ihre jungen robusten Gesichter wirkten jovial im Bewußtsein ihrer Bedeutung.
     Die Umstehenden machten ihnen Platz, doch der jüngere Polizist versuchte mit herablassender Geduld die Zaungäste |7| zum Abzug zu überreden. »Kommen Sie, gehen Sie doch, hier gibt’s nichts zu sehen.«
    Der andere Polizist kniete bei der Toten, man sah, daß er bemüht war, nichts zu berühren, er schaute nur aufmerksam die Leiche
     an und ging dann wortlos zu seinem Wagen, um zu telefonieren, und sein junger Kollege schloß das Tor, damit niemand mehr nahe
     an die Tote herankommen konnte. Die Umstehenden, auch Frau Tinius und Frau Schierl, zogen sich folgsam ein wenig zurück. Das
     sah man ja ein, die Polizei mußte hier ihre Pflicht tun, schließlich gehörte man sozusagen zu diesem Drama dazu, immerhin
     kannte Frau Schierl die Tote seit gemeinsamen Kindertagen, und Frau Schierl fühlte mit jeder Sekunde mehr, wie teuer ihr Frau
     Prinz trotz allem gewesen war. Schon als Schulkinder waren sie zerstritten, eines war selig, wenn das andere nachsitzen mußte,
     spätere Schicksalsschläge wurden wechselseitig mit Genugtuung registriert, wobei man mitleidsvoll Anteilnahme bekundete. Das
     gehörte sich so. In Streitzeiten waren sie mit hochgerecktem Kinn auf die andere Straßenseite gewechselt |8| , um einander nicht begegnen zu müssen. Ach ja, schön war es gewesen, und nun auf immer vorbei.
    Frau Tinius dagegen war auch angesichts des Todes von keiner sentimentalen Strömung durchflutet, eher vom Gefühl einer ausgleichenden
     Gerechtigkeit. Unmerklich, wie die Cellulite an ihren Schenkeln, hatte sich in Frau Tinius Abscheu entwickelt gegen die ständigen
     Pöbeleien der Frau Prinz, die alle Preußen aus der nachbarschaftlichen Gemeinschaft ausschließen wollte. Ließen sich Frau
     Tinius oder die junge Nachbarin zur Linken, Frau Molden, im Garten sehen, pfiff Frau Prinz so schrill wie der Vogeljakob auf
     dem Oktoberfest. Dann verließ man den Garten freiwillig, obwohl jedem klar war, daß Frau Prinz gerade deshalbso schauerlich
     pfiff. Jetzt war sie tot. Plötzlich und unerwartet. Ein Wunder, das Frau Tinius der Sorge enthob, Frau Prinz könnte mindestens
     zweihundert Jahre alt werden, so daß zu Lebzeiten keine Erlösung von ihr zu erwarten sei. Seit Frau Prinz sich ein Mobiltelefon
     angeschafft hatte, war es noch schlimmer geworden. Das Handy am Ohr, |9| ragte Frau Prinz wie ein Schreckensmonument auf ihrem Balkon auf und ließ ihre Stimme über die Gärten schallen. Selber schwerhörig,
     teilte sie ihren Gesprächsteilnehmern brüllend mit, daß die Preußen ihr schönes Nymphenburg zerstörten. Sie beschwor ihre
     Gesprächspartner, sie doch zu besuchen, um sie über diesen Mißstand hinwegzutrösten. »Ich bin die Beherrscherin der Gärten«,
     brüllte sie. »Die Preußen
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