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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma
Autoren: Camilla Grebe
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übliche Symptome bei einer posttraumatischen Belastungsstörung, solche Dinge. Danach folgt ein freier Teil, die Teilnehmerinnen berichten von ihren Erfahrungen und hören sich die Erzählungen der anderen an. Die Gruppenleiterin soll das Gespräch lenken. Dafür sorgen, dass jede zu Wort kommt und dass keine zu dominant wird. Danach wird eine Hausaufgabe erteilt, zum Beispiel, darüber nachzudenken, wie sich durch das Trauma das Leben verändert hat, oder eine neue Zielsetzung zu finden, dafür, wie das Leben werden soll. Was jede verloren hat und was sie glaubt, neu erschaffen, vielleicht neu erobern zu können. Und dann die Frage, wie dies praktisch zu bewerkstelligen ist. Ihr werdet detaillierte Anleitungen bekommen, aber ihr könnt auch davon abweichen. Ihr wertet jedes Treffen gemeinsam aus und äußert euch zum Ablauf. Alles wird dokumentiert. Entscheidend ist, dass es sich um eine Selbsthilfegruppe handelt, das Niveau muss also entsprechend sein. Das Ganze muss Substanz haben und Veränderungen fördern, darf aber nicht zu kompliziert sein. Es ist keine Psychotherapie, und die Gruppenleiterinnen sind keine Psychotherapeutinnen, sondern Frauen, die selbst Erfahrungen mit Männergewalt gemacht haben …«
    Vijay verstummt und sieht plötzlich verlegen aus. Ich weiß, was er denkt und was jetzt kommen wird.
    »Ja, also, Siri … ich bitte dich nicht in deiner Eigenschaft als Gewaltopfer, sondern weil du eine verflucht gute Psychologin und Psychotherapeutin bist, nur deshalb. Du und Aina, ihr könnt das. Und zwar verdammt gut.«
    »Aber die Tatsache, dass ich nicht nur Psychologin und Therapeutin bin, sondern auch Gewaltopfer, schadet vielleicht nicht?«
    Ich mustere Vijay, sehe, wie er verschiedene Antworten abwägt. Ich kenne ihn so gut, dass ich seine Gedanken lesen kann. Es sagen, wie es ist, oder beschönigen? So tun, als wäre nichts geschehen, als wäre ich noch dieselbe wie vorher, oder zugeben, dass das, was geschehen ist, die Tatsache, dass ein anderer Mensch mich umbringen wollte, mich verändert hat?
    »Stört dich das?«, fragt er.
    Er sieht verletzt und zugleich neugierig aus. Ich überdenke seine Frage. Ob es mich stört, dass ich mit meinen ureigenen Erfahrungen besser als andere für diese Aufgabe geeignet bin? Ich erkenne, dass das nicht der Fall ist. Meine persönlichen Erlebnisse sind immer bei mir, aber es tut nicht mehr so weh wie früher, die Wunde ist nicht mehr offen. Ich glaube wirklich, die Kontrolle zu haben über meine Reaktionen, und habe Vertrauen in meine Fähigkeit, mit den Geschehnissen umzugehen.
    »Nein, das stört mich nicht.«
    Die Atmosphäre in dem vollgestopften Raum ändert sich so schlagartig, dass es fast greifbar ist. Eine Welle aus Erleichterung scheint durch Vijay und Aina zu gehen, und mir wird klar, dass die beiden die Sache vorher bereits besprochen haben, dass Aina mich aber nicht beeinflussen, sondern mir eine Möglichkeit bieten wollte, Vijays Angebot abzulehnen, ohne das Gesicht zu verlieren. Vijay beugt sich vor und streichelt in einer überraschend zärtlichen Geste meine Wange.
    »Siri, meine Freundin. Es freut mich so, dass du hier bist.«
    Ich staune über diesen plötzlichen Gefühlsausbruch, zugleich wärmt mich seine Aufrichtigkeit. Ich weiß, dass er meint, was er sagt. Aina fängt meinen Blick auf und hebt die Augenbrauen, und ich muss mich abwenden, denn ich weiß, dass ich losprusten werde, wenn wir einander weiter ansehen, und ich will Vijay nicht verletzen. Stattdessen drehe ich mich zu ihm hin und lege den Kopf schräg.
    »Das wär also gebongt. Können wir jetzt über Geld reden?«

Der Regen, der nie ein Ende nehmen will.
    Der sich weigert, Sonne oder Kälte durchzulassen. Er fällt lautlos auf die sumpfige Umgebung meines Hauses. Löst langsam die Konturen dessen auf, was einst mein Rasen war, jetzt aber unter Wasser begraben liegt. Hartnäckige Grasbüschel schauen vereinzelt hervor wie erschöpfte gelbe Haarsträhnen. Der Weg zwischen meinem Wohnhaus und dem Nebengebäude, in dem Badezimmer und Speisekammer liegen, besteht dort, wo sich die schwarze Erde an meine Gummistiefel gesaugt hat, aus schwarzen Löchern.
    In meinem Haus ist es warm und trocken, und immer, wenn ich die Haustür einen Spalt offen lasse, erfüllt mich diese primitive heiße Freude darüber, in das Zuhause zurückgekehrt zu sein, das wirklich mir gehört, das mich – und ab und zu auch Markus und meine Freunde – in all diesen stürmischen Herbstnächten durch seine
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