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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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für einen Moment. Es war, als begänne in meinem Inneren etwas zu zerbrechen. Ich taumelte, wich einen Schritt von dem Schoggothen zurück und brach langsam in die Knie. Das Ungeheuer stieß ein widerwärtiges Zischeln aus und kroch schneller auf mich zu. Ich wußte, daß ich sterben würde. Jetzt.
    Aber ich starb nicht, und die Berührung, die ich eine Sekunde später an der rechten Hand verspürte, war auch nicht die eines schleimigen, schwarzen Tentakels, sondern kühl und sanft und auf sonderbare Weise vertraut. Und im gleichen Moment spürte ich eine Woge neuer, unbezwingbarer Kraft durch meinen Körper strömen.
    Verwirrt sah ich auf und blickte in Priscillas Gesicht. Sie war sehr ernst, aber in ihrem Blick lag keine Spur von Angst, sondern fast so etwas wie ein Lächeln und noch etwas. Ein Verstehen und Wissen, das keine Worte und umständliche Erklärungen mehr nötig hatte.
    Gemeinsam richteten wir uns auf und dem Schoggothen zu.
    »Geh!« rief ich. Und diesmal spürte ich, wie mein Wille, nein, Priscillas und mein vereinter Wille den geistigen Widerstand des Dämons zerschmetterte. Unsere Kräfte verdoppelten sich nicht einfach; aus ihrer Vereinigung entstand etwas Neues, tausendfach Stärkeres, unter dessen Gewalt sich der unheilige Geist des Schoggothen krümmte wie unter dem Hieb eines flammenden Schwertes.
    »Geh!« sagte ich noch einmal. »Geh und kehre nie wieder in diese Welt zurück! Geh, oder wir töten dich!«
    Auch das hätten wir gekonnt. Der Einheit, zu der Pri und ich in diesem Moment verschmolzen waren, war nichts mehr unmöglich, das wußte ich einfach. Ein einziger Gedanke hätte ausgereicht, das Monster zu verbrennen. Aber ich spürte auch gleichzeitig, daß wir es nicht durften. Es waren die Urkräfte der Weißen Magie, die in uns beiden erwacht waren, und sie waren nicht zum Zerstören da.
    »Geh!« sagte ich zum dritten Mal. »Geh, solange du es noch kannst!«
    Eine einzige, endlose Sekunde lang starrte uns das Schoggothenmonster noch an. Und dann begann es langsam in das lodernde Herz des Mastertores zurückzukriechen.

    Wäre dies ein Roman und keine wirkliche Geschichte, dann wären Pri und ich spätestens in diesem Moment ein Liebespaar geworden und hätten zweifellos geheiratet und bis ans Ende unserer Tage glücklich zusammengelebt. Aber es ist nun einmal keine ausgedachte Geschichte, und so kam es, daß Pri und Frans mich eine knappe Woche später zum Flughaften Schiphol begleiteten, von wo aus ich die Heimreise nach London antreten wollte.
    Es war eine sonderbare Stimmung, in der wir uns verabschiedeten. Ich hatte mich persönlich davon überzeugt, daß das Tor in DeVries’ Keller auseinandergebaut und das Gold wieder eingeschmolzen worden war, um seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgegeben zu werden, und ich hatte mich ebenso davon überzeugt, daß es in dem ehemaligen Tempel nichts mehr gab, was in den falschen Händen Unheil anrichten könnte. Trotzdem verspürte ich eine sonderbare Beunruhigung; das Gefühl, etwas vergessen, vielleicht auch verloren zu haben.
    Vielleicht Priscilla. Pri und ich hatten uns nicht mehr berührt seit jener Nacht. Und wir hatten auch nicht darüber gesprochen, was zwischen uns geschehen war. So berauschend und ungeheuer schön das Gefühl gewesen war, hatten wir doch beide Angst davor Angst vor der ungeheuren Macht, die für Sekunden in unserer Hand gelegen hatte. Macht über Leben und Tod, vielleicht Macht über das Schicksal dieses ganzen Planeten. Eine Macht, die nicht für Menschenhände gedacht war. Wir wußten beide, daß wir sie nie wieder entfesseln würden. Und wir wußten auch beide, was dieser Entschluß bedeutete daß es keine gemeinsame Zukunft für uns gab.
    »Was wirst du jetzt tun?« fragte ich, als wir uns in der Abfertigungshalle voneinander verabschiedeten.
    Pri zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es noch nicht genau«, gestand sie. »Wahrscheinlich gehe ich zurück nach Amerika, um zu Ende zu studieren.«
    »Arkham?«
    Sie nickte. »Sicher. Es ist eine schöne Stadt. Vielleicht besuchst du mich einmal dort.«
    »Oder du mich«, antwortete ich. »London hat auch seine schönen Seiten, weißt du?«
    Sie lachte, aber es klang nicht echt. Wir wußten beide, daß wir uns nicht wiedersehen würden.
    Frans räusperte sich, und ich wandte mich an ihn. »Das gleiche gilt natürlich auch für dich«, sagte ich. »Solltest du einmal nach England kommen besuch mich.«
    »Sicher«, sagte er. »Versprochen.« Er lächelte, sah auf die
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