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Das Tor ins Nichts

Titel: Das Tor ins Nichts
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dem Handrücken Blut und Tränen aus den Augen und drehte den Kopf. Die verschiedenfarbigen Figuren und Felder begannen wie wild auf und ab zu hüpfen. Ich konnte kaum mehr denken.
    Ich hatte die Falle, in die DeVries’ Dame gelaufen war, sorgsam aufgebaut und das zweimalige Schach und den Schmerz, den es bedeutete, bewußt in Kauf genommen. Wenn DeVries’ Dame fiel, hatte ich gewonnen. Selbst wenn meine Konzentration weiter sank, war meine rein zahlenmäßige Überlegenheit groß genug, die wenigen verbliebenen weißen Figuren einfach vom Brett zu fegen.
    »Bleiben Sie dabei?« fragte DeVries lächelnd.
    Ich starrte ihn aus brennenden Augen an. »Warum sollte ich nicht?«
    »Nun …« DeVries verließ seinen Platz und blieb unmittelbar neben der weißen Dame stehen. »Vielleicht sehen Sie sich die Figur erst einmal genauer an.« Er lächelte, hob die Hand und berührte die schimmernde Metallbrust der übermenschengroßen Statue. Ein leises Klicken erscholl, und ein Teil des bizarren Gesichtsvisiers schob sich summend zur Seite.
    Dahinter kam das bleiche, angstverzerrte Gesicht Frans Dreistmeers zum Vorschein!
    »Nein!« keuchte ich. Für einen Moment wurde mein Zorn so stark, daß er sogar den Schmerz und die Schwäche hinwegfegte. »DeVries!« brüllte ich. »Sie Ungeheuer! Sie haben versprochen …«
    »Was habe ich versprochen?« unterbrach mich DeVries eisig. »Ich habe versprochen, Ihnen eine Chance zu geben, mehr nicht. Sie haben sie bekommen. Besiegen Sie mich, wenn Sie können!« Er kicherte böse. »Sie brauchen nur diese Dame zu schlagen, und Sie haben praktisch schon gewonnen. Ich gebe neidlos zu, daß Sie der bessere Spieler sind. Also bleibt es bei Ihrem Zug?«
    Zehn, fünfzehn Sekunden lang war ich nicht in der Lage zu reagieren. Ich starrte die gewaltige Damefigur an, die in Wahrheit nichts anderes als ein Gefängnis für Frans war, und plötzlich begriff ich die absolute Bosheit DeVries’ erst richtig.
    Er gab mir die Chance, mein Leben zu retten indem ich das eines Unschuldigen opferte.
    »Sie Ungeheuer!« flüsterte ich.
    DeVries lachte nur.

    Mein Körper war nur noch ein einziger Schmerz, und meine Gedanken weigerten sich, in geordneten Bahnen zu laufen. Das Schwarzweißmuster des Schachbretts verzerrte und bog sich immer wieder vor meinem Blick. Wir spielten jetzt seit zwei Stunden. Genausogut hätten es aber auch zweihundert Jahre sein können ich vermochte den Unterschied nicht mehr so genau zu erkennen.
    »Ich gebe es ungern zu«, sagte DeVries fröhlich, »aber ich bewundere Sie beinahe, Mister Craven. Sie spielen wirklich gut

    in Anbetracht der Umstände. Trotzdem Sie haben keine Chance mehr. Matt in drei Zügen. Und diesmal wirklich.«
    Ich stöhnte nur. Ich wollte antworten, aber ich konnte es nicht mehr. Alles in mir war Schmerz.
    »Wie Sie wollen«, sagte DeVries, als ich nicht auf seine Worte reagierte. »Dann bin ich wohl am Zug, so wie es aussieht. Dame H3 schlägt Turm C3.« Rasselnd und klirrend setzte sich seine Dame in Bewegung, erreichte das Feld, auf dem mein Turm stand, und zerschlug ihn mit einem einzigen Hieb ihrer gewaltigen Metallarme. Das riesige Eisengebilde stürzte polternd in sich zusammen; gleichzeitig traf mich ein ganzer Schwarm winziger silberner Pfeile an Hals und Schulter. Ich brach in die Knie und kämpfte sekundenlang gegen eine aufkommende Ohnmacht an.
    Meine Lage war aussichtslos. Ich hatte gespielt wie nie zuvor in meinem Leben, trotz der Schmerzen und der Verzweiflung, die wie ein ätzendes Gift in meinen Gedanken tobte, und DeVries’ Figuren regelrecht vom Brett gefegt, bis ihm nur noch die Dame geblieben war. Trotzdem würde ich verlieren, denn DeVries setzte seine Dame immer rücksichtsloser ein.
    Während der letzten halben Stunde hatte die weiße Königin meine Figuren eine nach der anderen geschlagen. Und mit jedem Spielstein, der ausschied, biß ein neuer, quälender Schmerz in meinen Leib. Keine der Wunden war wirklich gefährlich, aber sie alle zusammen würden mich umbringen, wenn das Spiel noch lange dauerte.
    »Sehen Sie doch endlich ein, daß Sie keine andere Wahl mehr haben«, sagte DeVries. »Sie haben noch einen Springer und den Turm. Den Turm nehme ich Ihnen beim übernächsten Zug ab, und damit haben Sie praktisch verloren. Es sei denn«, fügte er kichernd hinzu, »Sie schlagen meine Dame. Aber das werden Sie nicht tun, nicht wahr?«
    Ich hatte nicht mehr die Kraft zu antworten. Mein Blick suchte die weiße Dame und saugte sich an
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