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Die Capitana - Roman

Die Capitana - Roman

Titel: Die Capitana - Roman
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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1. Kapitel
Sigüenza, September 1936
    Niemand hat sie gebeten, gar mit ihr gerechnet, aber da ist Mika, um sie herum dunkle Nacht, und hält Wache auf der Anhöhe, wie viele andere in der Gegend und vor der Stadt Sigüenza.
    Ein Schauder durchfährt sie, als sie die feindlichen Stellungen erkennt, immer näher rücken sie heran. Auch die Faschisten türmen Steine auf, aber im Gegensatz zu ihnen haben sie mächtige Maschinengewehre, und sie selbst? Lächerliche Flinten, ein paar Kanonen, nur Schießpulver und Dynamit.
    Die obersten Kommandeure haben ihnen befohlen, so lange wie möglich die Stellungen zu verteidigen, um die Truppen der aufständischen Militärs auf ihrem Weg nach Madrid aufzuhalten. Mika bezweifelt, dass sie Verstärkung bekommen werden, wie man es ihnen versprochen hat. Dass sie auch ausgerechnet in dieses verdammte Nest geraten sind, schlimmer geht es kaum. Sie gibt den Kampf von vornherein verloren, doch als sie am Abend zuvor die zunehmende Mutlosigkeit unter den Milizionären spürte, warf sie ihnen vor:
    »Wenn wir jetzt aus Sigüenza abziehen, wird es heißen, wir hatten Angst. Die Milizen des POUM sind keine Feiglinge.«
    Ein Wort mit großer Wirkung. Feiglinge? Von wegen, sie sind ganze Männer, sie werden standhalten. Nur wie? Ihre Leidenschaft für die Revolution gut und schön, aber was werden sie allein mit ihrem Willen ausrichten können gegen die Flugzeuge der Faschisten, gegen besser bewaffnete und auf den Krieg vorbereitete Soldaten?
    Sie muss mit dem Kommandanten reden, ihn dazu auffordern, entweder die Evakuierung der Stadt anzuordnen oder dringend die zu ihrer Verteidigung nötige Verstärkung herbeizuschaffen. Mika will ernsthaft an einen ausgebildeten Armeekommandanten herantreten, sie, die von militärischen Dingen keine Ahnung hat?
    Ja, denn es geht nicht mehr so wie früher nur um genügend Essen oder Kleidung, sie fühlt sich für das Schicksal ihrer Mili-zionäre verantwortlich.
    Meine Milizionäre?, denkt sie überrascht. Wie viel Zeit ist vergangen seit ihrem anfänglichen Hadern mit diesen Männern, die so wenig gemeinsam haben mit den kämpferischen Internationalisten, die Mika vertraut sind. Zwei, drei Monate? Drei Jahrhunderte. Die Zeit zählt anders im Krieg.
    War es in jener Nacht auf der Anhöhe? Welche Umstände, welches Ereignis, welche Schlacht hat dich zur Capitana gemacht, Mika?
    War es, als du von dem faschistischen Emissär ein unterschriebenes Papier mit den Bedingungen für die Kapitulation verlangt hast? Von ihm hast du erfahren, dass sie dich als gefährlich ansahen, als eine Frau, die bei den Roten Befehlsgewalt hatte.
    War es, als deine Kolonne für ihren Einsatz in der Schlacht um Moncloa mit der Internationale geehrt wurde? Als du nach dem Bombeneinschlag verschüttet warst und dennoch mit dem Leben davongekommen bist? Als du in Pineda de Húmera einen Weg gefunden hast, wie man einem vierzehnstündigen Angriff standhalten kann? Du hattest bereits die Auszeichnung am Revers, als du zwischen den pfeifenden Kugeln deinen Männern in den Schützengräben Hustensaft gebracht hast.
    Und zuvor: Was hat dich dazu veranlasst, in Spanien zu kämpfen, so weit weg von dem Land, in dem du geboren wurdest, und dich diesem Krieg zu verschreiben, ihn so sehr zu deinem eigenen zu machen, dass die Milizionäre dich zur Capitana erwählt haben?
    Die Nachbarorte fallen nach und nach in die Hände des Feindes, aber um die Front auszuweiten, bräuchten sie zehnmal mehr Waffen und das Dreifache an Milizen. Sie müssen um Sigüenza kämpfen, es Straße für Straße verteidigen, Kameraden, sagt der Kommandant, und die Stellungen rings um die Stadt halten.
    Dann dieser Morgen, durchstochert von Maschinengewehrsalven und dem Pfeifen der Granaten. Und am nächsten Tag die Flugzeuge der Faschisten, drei und noch mal drei, immer mehr. 23 zählt Mika. Eine Machtdemonstration. Den Bahnhof, in dem der POUM, die Arbeiterpartei der marxistischen Einheit, ihren Stützpunkt hat, rühren sie nicht an, sie nehmen die Stadt ins Visier, ein beliebiges Wohnviertel, das Krankenhaus und die Straßen, auf denen die Kämpfer sich gruppieren. Zerfetzte Körper. Hunderte Opfer, Zivilisten wie Milizen.
    Sie müssen standhalten, auf Verstärkung warten. Vor allem warten. Doch währenddessen rastet Mika nicht, sie organisiert, redet, setzt sich ein, wächst. Und sie übt an dem nagelneuen Karabiner, den Leutnant López ihr zwei Tage nach der Schlacht um Atienza überreicht hat.
    »Der ist für
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