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Terror von Rechts

Terror von Rechts

Titel: Terror von Rechts
Autoren: Patrick Gensing
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Menschen, nicht Döner
    Scheint die Sonne auch für Nazis? Dann kämen mir die Tränen. Dürfen Faschos auch verreisen? Das wär ungerecht. Können Rassisten etwa auch den blauen Himmel sehen? Scheint die Sonne auch für Nazis?
    Am 27. Juni 2001 spielten Die Ärzte den Song »Ein Sommer nur für mich« in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg. Nicht einmal zehn Kilometer entfernt hatten wenige Stunden zuvor zwei Neonazis bereits die Fragen aus dem Lied nachhaltig beantwortet. Mit drei Kugeln. Es war bereits der dritte Mord eines mobilen Exekutionskommandos von Thüringer Neonazis, die den Behörden seit vielen Jahren bekannt waren – und die dennoch, von einem braunen Netzwerk finanziert und unterstützt, durch Deutschland ziehen konnten, um Menschen zu erschießen.
    »Faschos« dürfen in Deutschland also ungestört reisen und morden – die Sonne schien an diesem Sommertag für Süleyman Taşköprü ein letztes Mal. Der 31-Jährige starb im Obst- und Gemüseladen seines Vaters in der Schützenstraße im eher beschaulichen Hamburger Stadtteil Bahrenfeld durch die Schüsse der Neonazis. Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos feuerten aus kurzer Distanz auf den Mann, Skrupel hatten sie keine. Im Gegenteil: In ihrem Bekennervideo feierten sie die Morde und verhöhnten die Opfer. Böhnhardt und Mundlos sahen sich auf einem pseudoreligiösen Kreuzzug – für die »Reinhaltung« des »deutschen Blutes«. Sie suchten sich Männer mittleren Alters als Ziele für ihre Mordanschläge, Männer, die bereits Väter waren oder noch werden konnten. Mit jeder Kugel sollte auch eine kommende Generation von Menschen traumatisiert oder ausgelöscht und Familien zerstört werden. Ihr Motiv: Angst vor »Überfremdung« und »Durchrassung«. Heute heißt das griffiger: »Deutschland schafft sich ab!«
    Süleyman Taşköprü war kein »Döner«. Er war ein Mensch, ein Mann von 31 Jahren, ein hilfsbereiter Sohn, Ehemann, Bruder und freundlicher Nachbar. Ein Hamburger. Doch nach dem Mord folgte der Rufmord durch die Öffentlichkeit: organisierte Kriminalität und Drogenmafia – was liegt näher bei einem Migranten? Die Medien berichteten von angeblichen Spuren, die bis in die Niederlande führten. Haschisch aus Amsterdam? Drogenkrieg zwischen Ausländern? Für die deutsche Öffentlichkeit war der Fall damit erledigt.
    Die Familie von Süleyman Taşköprü sowie die Angehörigen der anderen NSU-Opfer mussten erfahren, was alltäglicher Rassismus bedeutet. Polizisten, die Hinweise auf Neonazis nicht ernst nahmen, sondern die Betroffenen durch Verdächtigungen kriminalisierten und ihnen so eine Mitschuld gaben. Medien, die dies unreflektiert zur Nachricht aufbliesen, die Toten zu angeblichen Drogenhändlern und »Döner« erklärten. Familien wurden zerstört, Menschen verloren den Glauben an eine Zukunft hierzulande, verließen Deutschland.
    »Eine Schande für das Land ist das«, schimpft Franz Schindler von der SPD, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Rechtsterrorismus in Bayern, wie die Hinterbliebenen behandelt worden seien. »Die Polizei geht offenbar anders mit Ausländern um als mit Deutschen«, sagt er im Gespräch mit dem Autor. Eine Schande für das Land, sicher, aber noch viel mehr eine traumatische Erfahrung für die Angehörigen. Das Werk der Neonazis war somit vollbracht, mit freundlicher Unterstützung der deutschen Gesellschaft, die die Angehörigen des Opfers alleingelassen hat.
    Süleyman war nicht die Ausnahme, Ermittler und Medien steckten alle Mordopfer in Schubladen, die wahlweise mit Drogenmafia, organisierter Kriminalität, Schutzgeld oder Geldwäsche versehen wurden; Rassismus als mögliches Motiv tauchte hingegen nicht auf. Die
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zitierte in einem Artikel kurz nach dem neunten Mord der Neonazis den Leiter der SOKO Bosporus, Wolfgang Geier, der behauptete, mehrere Opfer hätten zu denselben Menschen Kontakt gehabt. 1
    Es sei nicht ausgeschlossen, »dass sie in der Drogenszene aktiv waren. Die Opfer sind kleine Lichter am Ende einer Kette. Wo sie Fehler gemacht haben, wissen wir noch nicht.« Fakt war demnach aber, dass die Opfer »Fehler« begangen hatten – und deswegen sterben mussten. Selbst schuld also. Der Kriminologe Christian Pfeiffer, der in anderen Fällen gern vor Vorverurteilungen warnt, breitete in der
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noch eine weitere Theorie aus: »Schutzgeld als Motiv liegt auf der Hand. Es kann sein, dass die Getöteten gar nicht zu den Erpressten gehörten. Die Organisation hat sie vielleicht zur
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