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Ewiges Verlangen

Ewiges Verlangen

Titel: Ewiges Verlangen
Autoren: Laura Wright
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    SOHO
23:45
    Ihr Atem sichtbar in der kalten Luft, ihre Schatten übergroß auf den zerklüfteten Steinmauern, bewegten sich Nicholas und Lucian Roman zielstrebig durch die Tunnel unterhalb Manhattans. Sie waren fest entschlossen, die Seele ihres Bruders zu retten, und doch völlig uneins, wie sie dies anstellen sollten.
    »Er ist nicht bereit«, knurrte Lucian.
    Nicholas’ Schritte wurden länger, während er an den Tunnelwächtern – männliche Vampire, Unreine – vorüberstolzierte, welche die Blicke auf ihre Stiefel gerichtet hielten, abgewandt von dem so atemberaubend Hellen und dem anderen, dessen Augen und Haare ebenso dunkel waren wie sein nicht schlagendes Herz. »Ich werde selbst nachsehen.«
    »Was du sehen wirst, Bruder«, sagte Lucian mit entblößten Fängen, »ist ein Tier. Der Hunger beherrscht ihn wieder. Er ist dieses Mal fast unkontrollierbar.«
    »Nein. Alexander kann sich kontrollieren. Er besitzt Urteilsvermögen. Du siehst doch, wo er sich aufhält.« Nicholas runzelte die Stirn. Der Käfig von zwei mal drei Metern, der sich tief unter den Straßen New Yorks befand, war vor langer Zeit gebaut worden, um den Zorn des ältesten Bruders zu bezwingen, seinen Körper auszuhungern und seinen Geist zu zerstören. Aber während der vergangenen zwei Tage hatte er ihn schlicht davon abgehalten, alles zu töten, was ihm in den Weg kam.
    Lucian passte sich Nicholas’ Schritt an, als sich der Tunnel verbreiterte. »Er hätte diese Menschenfrau beinahe abgeschlachtet, Nicky.«
    »Es geht ihr gut. Sie atmet.«
    »Nur weil du eingeschritten bist.«
    Nicholas schwieg und biss fest die Zähne zusammen.
    Lucian fuhr fort: »Er muss in dem Käfig bleiben, bis er sich wieder … als Ganzes fühlt. Bis seine Blutgier nachlässt.« Er senkte die Stimme. »Wenn sie jemals nachlässt.«
    »Du willst ihn auf unbestimmte Zeit wie ein Tier gefangen halten?«, klagte Nicholas ihn heftig an. »Wie damals, als er ein Balas war.« Nicholas stieß das uralte Wort für »Vampirkind« verbittert hervor.
    »Es ist genau so, wie er es haben wollte«, argumentierte Lucian. »Alexander hat diesen Käfig gebaut, weil er dem Schmerz seiner Vergangenheit schutzlos ausgeliefert war – und nun hält er sich darin auf, um seine Zukunft zu schützen. Ich bin nicht der Mistkerl, der ihn in den ersten Jahren seines Lebens beinahe zerstört hätte, aber ich weiß, was getan werden muss, und Alexander weiß es auch. Er begreift die Gefahr, in der er schwebt – in der wir jetzt alle schweben.«
    Sie umrundeten eine Biegung, und Nicholas musterte im Vorübergehen die Wächter, die ihren Weg säumten. Die Unreinen, die machtlosen Söhne von sowohl Menschen als auch Vampiren, waren ihrer jeweiligen Credenti – ihrer Vampirgemeinschaft – vor langer Zeit entkommen. Der Orden, die Herrscher ihrer Art, hatte ihnen einst jegliche sexuelle Begierde ausgetrieben; nun arbeiteten sie für die reinblütigen Roman-Brüder und wurden anständig und respektvoll behandelt.
    »Ich glaube, dass deine Reaktion«, sagte Nicholas zu Lucian, als sie das Ende des Tunnels und die Tür erreichten, die zum Gefängnis ihres Bruders führte, »und dein Bedürfnis, Alexander weiterhin gefangen zu halten, auf Angst beruhen.«
    Lucian trat vor die schwere Eisentür und stellte sich Nicholas damit in den Weg. Seine mandelförmigen Augen brannten vor Zorn. »Hör zu. Wenn er tötet, wird der Orden ihn aufspüren können. Sie werden uns erwischen, und wir werden keine Chance haben, uns ihnen wieder zu entziehen.«
    Nicholas rümpfte die Nase. »Seit wann kümmern dich die Gesetze des Ordens?«
    »Wenn du einen Krieg haben willst – und du weißt, dass genau das geschehen wird, wenn der Orden uns findet und uns zur Credenti zurückzubringen versucht –, dann bin ich dabei. Sollte ich irgendwann in meine Vampirgemeinschaft zurückkehren, dann nur tot; und ich würde ihnen einen guten Kampf liefern. Aber wir müssen auch bedenken, dass, wenn sie uns finden, alles verloren sein wird, was wir uns seit der Flucht geschaffen haben.« Er zog seine hellen Augenbrauen in die Höhe. »Das ist keine Angst, sondern eine realistische Einschätzung.«
    Nicholas sah seinen Bruder an – den furchterregenden Engel mit den weißen Haaren, die ihm bis über die Ohren reichten. Lucian konnte gewiss ein hitzköpfiger Mistkerl sein, der zu schnell handelte und sich nie entschuldigte, aber in diesem Punkt hatten seine Argumente, weshalb sie Alexander von der Öffentlichkeit fernhalten
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