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Terror von Rechts

Terror von Rechts

Titel: Terror von Rechts
Autoren: Patrick Gensing
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der ›Todesfabriken‹ gemein.« 6
    »Werde unsterblich« – diese Parole propagieren Neonazi-Gruppen aus dem Umfeld der mutmaßlichen Terror-Unterstützer in Brandenburg und Sachsen. Mit Fackeln ziehen sie durch Städte, angeblich spontan, was bei der Inszenierung und den Teilnehmerzahlen von einigen Hundert unmöglich sein dürfte. Die Organisatoren dieser gespenstischen Aufmärsche produzieren martialische Propagandavideos ihrer Aktionen. »Werde unsterblich« – die selbsternannten »politischen Soldaten« sehen sich in einer geradezu religiösen Mission. Der Einzelne zählt nichts, das völkische Kollektiv alles. Unsterblich wird, wer sein Leben gibt für den Kampf.
    »Wir haben eine große Botschaft. Wir haben wieder etwas, was die Jugend zum Kampf animiert. Es ist der große Idealismus. Und fragt euch doch einmal: Welche Kraft ist denn mächtiger? Erinnert euch an die Bilder der jungen Palästinenserinnen, junge Mütter, die sich den Sprengstoffgürtel umschnallen, um für ihr Volk, ihre Nation in den Tod zu gehen. Das ist es.« So der damalige bayerische NPD-Funktionär Roland W. auf einer Demonstration im Oktober 2004.
    Dementsprechend werden die Taten der Nazis von ihren geistigen Erben glorifiziert, der deutsche Soldat habe tapfer und heldenhaft gekämpft, für ein größeres Ziel, der Tod von Millionen Menschen sei nicht umsonst gewesen, weil Deutschland doch leben müsse – und der Kampf geht weiter. Während Nazis sich nach dem Zweiten Weltkrieg damit herausreden wollten, man habe von den Gräueltaten doch gar nichts gewusst, werden diese heute entweder geleugnet oder verherrlicht. Die Neonazis sind nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Neonazis.
    »Heutige wie damalige Nazis orientieren sich an der Tat«, erklärt Andreas Strippel. Praxis und Lebenswirklichkeit seien Postulate der SS-Täter gewesen, mit denen sie gegen abstrakte Entwürfe und Politik vom »grünen Tisch« aus polemisierten. Ulrich Herbert prägte hierfür die These vom »Primat der Praxis«. 7
    Demnach stilisierten sich die NS-Täter selbst nur als Exekutoren ihrer vorgestellten Lebenswirklichkeit. »Das erlaubte ihnen, Rasse(n)theorien zu entwickeln und gleichzeitig theoriefeindlich gegen alle vermeintlichen artifiziellen Politikentwürfe zu polemisieren«, so Strippel weiter. Der Historiker, der zur deutschen Vernichtungspolitik in Osteuropa forscht, verweist auf Heinrich Himmler. Dieser habe in einer berüchtigten Rede im Jahr 1943 die Vorstellung dargelegt, Mord sei eine Notwendigkeit, die nicht in der Öffentlichkeit verhandelt werden sollte. Vor hohen SS-Offizieren sprach Himmler vollkommen offen über den Mord an den europäischen Juden, fügte aber an: »Es gehört zu den Dingen, die man leicht ausspricht. – ›Das jüdische Volk wird ausgerottet‹, sagt ein jeder Parteigenosse, ›ganz klar, steht in unserem Programm, Ausschaltung der Juden, Ausrottung, machen wir.‹ Und dann kommen sie alle an, die braven 80 Millionen Deutschen, und jeder hat seinen anständigen Juden. Es ist ja klar, die anderen sind Schweine, aber dieser eine ist ein prima Jude. Von allen, die so reden, hat keiner zugesehen, keiner hat es durchgestanden. Von euch werden die meisten wissen, was es heißt, wenn 100 Leichen beisammen liegen, wenn 500 daliegen oder wenn 1000 daliegen. Dies durchgehalten zu haben, und dabei – abgesehen von Ausnahmen menschlicher Schwächen – anständig geblieben zu sein, das hat uns hartgemacht. Dies ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte […].« 8
    Die Planung und Durchführung der rassistischen Mordpolitik werde eben nicht nach außen in die Öffentlichkeit kommuniziert, erklärt Strippel, »sondern soll das exklusive Wissen der Täter und ihrer Helfer bleiben, die sich in ihrer Praxis als ideologische Elite konstruieren. Allein die Dimension des Holocaust machte dies Unmöglich.« Strippel betont, es sei unbekannt, ob die Mörder der NSU Himmlers Rede kannten, »aber ihr Handeln passt in die Kontinuität nationalsozialistischer Ideologie in Deutschland. Selbst in der brutalen Exekution wird noch ein eigenes Opfer (für die Gemeinschaft) imaginiert. Die Tat selbst wird als heroischer Akt begriffen, der sich aus der rassistischen Weltsicht heraus erklärt und keiner Kommunikation in die Außenwelt bedarf. Nicht das Reden über die Aktion, sondern die Aktion selbst ist die Botschaft. Hier knüpft der NSU an das Selbstverständnis faschistischer bzw.
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