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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
Autoren: John Boyne
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noch immer ihren Witz und ihre Intelligenz und sprang schnell von einem Thema zum anderen.
    »Ich nehme an, ich sollte Ihnen gratulieren«, sagte sie nach einer Weile.
    »Mir gratulieren?«
    »Zu Ihrem Preis. Wie ich höre, ist er angesehen.«
    »Ja, das hat man mir auch versichert«, antwortete ich. »Allerdings sieht er ganz schön hässlich aus, wenn ich ehrlich bin. Ich weiß nicht, warum sie nicht etwas Schöneres in Auftrag geben konnten.«
    »Wo haben Sie ihn? In Ihrem Zimmer?«
    »Nein, ich habe ihn bei meinem Agenten gelassen. Das Ding war mir zu schwer. Sie schicken ihn mir, denke ich.«
    »Ihr Foto war auf der Titelseite der Times «, sagte sie. »Ich habe am Montag im Zug von Ihnen gelesen, und dann kamen Sie auch noch in einem Kreuzworträtsel vor. Sie haben es zu etwas gebracht.«
    »Ich hatte Glück«, sagte ich. »Ich durfte mein Leben leben, wie ich es wollte. Mit gewissen Einschränkungen jedenfalls.«
    »Ich weiß noch, wie Sie mir an jenem Tag kurz vor Ihrer Abreise erzählt haben, dass Sie mit dem Schreiben herumprobierten und vorhätten, es nach Ihrer Rückkehr nach London ernster anzugehen. Das haben Sie wahr gemacht. Es gibt eine beeindruckende Anzahl von Büchern mit Ihrem Namen darauf. Ich habe nicht eines davon gelesen, muss ich gestehen. Ist das unhöflich?«
    »Ganz und gar nicht«, sagte ich. »Ich hätte das nie erwartet. Sie mögen keine Romane, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Nun, am Ende bin ich doch bei ihnen gelandet. Nur eben bei Ihren nicht. Natürlich habe ich sie immer in den Buchläden gesehen, und ich gehe auch in die Bibliothek, und da sind alle große Verehrer von Ihnen. Aber ich selbst habe nie einen gelesen. Denken Sie manchmal an mich, Tristan?«
    »An den meisten Tagen«, gab ich ohne zu zögern zu.
    »Und an meinen Bruder?«, fragte sie und war offenbar nicht überrascht.
    »An den meisten Tagen«, wiederholte ich.
    »Ja.«
    Sie wandte den Blick ab und trank einen Schluck. Einen Moment lang schloss sie die Augen und spürte der Wirkung des Weins nach.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich hier mache«, sagte sie kurz darauf und sah mich an. Ihr Lächeln wirkte seltsam dement. »Ich wollte Sie sehen, aber ich weiß nicht, warum. Ich muss Ihnen verrückt vorkommen. Ich bin nicht hier, um Sie anzugreifen, falls Sie sich deswegen Sorgen machen.«
    »Erzählen Sie mir von Ihrem Leben, Marian«, sagte ich und war interessiert, was sie zu berichten haben mochte. Auf dem letzten Bild, das ich von ihr hatte, saß sie auf dem Bahnsteig von Norwich Thorpe, eine verzweifelte, weinende junge Frau, die unter den Augen der Umstehenden plötzlich aufsprang und auf das Fenster meines Abteils losging, als der Zug aus dem Bahnhof fuhr. Ich hatte erschrocken die Luft angehalten, weil ich dachte, sie wolle sich vor die Räder werfen, aber nein, sie wollte nur mich attackieren, sonst nichts. Hätte sie mich packen können, sie hätte mich womöglich umgebracht. Und ich hätte sie womöglich gelassen.
    »Grundgütiger«, sagte sie jetzt. »Sie wollen doch nichts über mein Leben wissen, Tristan. Im Vergleich zu Ihrem würde es Ihnen furchtbar langweilig erscheinen.«
    »Meines ist weit eintöniger, als die Leute es sich vorstellen«, erklärte ich ihr. »Bitte, es interessiert mich.«
    »Also gut, dann vielleicht in Kurzform. Sehen wir mal. Ich bin Lehrerin. Oder war es, besser gesagt. Natürlich bin ich pensioniert. Ich habe mich zur Lehrerin ausbilden lassen, kurz nachdem meine Ehe gescheitert war, und habe dann, weiß Gott wie lange, es müssen über dreißig Jahre gewesen sein, an derselben Schule gearbeitet.«
    »Haben Sie Ihren Beruf gemocht?«
    »Sehr. Mit den Kleinsten, Tristan. Allein mit denen bin ich fertig geworden. Stelle zwei von ihnen aufeinander, und wenn du dann immer noch größer bist, ist es okay. Das war meine Regel. Vier- und Fünfjährige. Ich habe sie geliebt. Sie waren mir eine große Freude. Einige von ihnen waren einfach wunderbar.« Ein strahlendes Lächeln überzog ihr Gesicht.
    »Vermissen Sie Ihre Arbeit?«
    »Oh, jeden Tag. Es muss herrlich sein, einen Beruf wie Ihren zu haben, wo einem nie jemand sagt, dass man aufhören muss. Romanciers werden mit zunehmendem Alter immer besser, oder?«
    »Einige von ihnen«, sagte ich.
    »Und Sie?«
    »Ich glaube, nicht. Ich denke, ich hatte so etwa in der Mitte meines Lebens meine beste Zeit. Seitdem sitze ich fest und paddle im immer gleichen Wasser herum. Es tut mir leid, dass Ihre Ehe kein gutes Ende genommen
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