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Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler

Titel: Das spaete Gestaendnis des Tristan Sadler
Autoren: John Boyne
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mir zu und legte eine Hand auf meinen Arm.
    »Ich habe Sie an der Uni gelesen«, vertraute er mir in so sorgfältig gewähltem Ton an, dass es klang, als gebe er ein eher ungesundes Interesse an jungen Mädchen im Grundschulalter zu. »Ich muss gestehen, dass ich vorher nicht von Ihnen gehört hatte. Aber einige Ihrer Bücher haben mir verdammt gut gefallen.«
    »Danke. Und die anderen? Die Ihnen nicht so verdammt gut gefallen haben?«
    Er zuckte zusammen und überlegte. »Nun, wer bin ich, da ein Urteil zu fällen«, sagte er und verteilte die Asche seiner Zigarette auf den Resten seines Krabbencocktails, bevor er mir von den verschiedenen Mängeln berichtete, die sie enthielten, und dass es ja durchaus gehe, dieses und jenes in einem bestimmten Kontext so anzuordnen, aber lass es nur zu dieser oder jener Komplikation kommen, und das ganze Kartenhaus fällt in sich zusammen. »Wobei gesagt werden muss, dass wir in der Literatur heute längst nicht da ständen, wo wir stehen, wenn die letzten Generationen uns nicht so eine solide Basis hinterlassen hätten. Zumindest dafür gebührt Ihnen großes Lob.«
    »Aber ich bin doch noch da«, sagte ich, ein Geist an meinem eigenen Tisch.
    »Aber natürlich sind Sie das«, sagte er und bestätigte mir diesen Umstand, als hätte ich ihn angesichts meiner fortschreitenden Demenz darum gebeten, mich meiner andauernden Existenz zu versichern.
    Wie auch immer, jedenfalls unterhielt ich mich, Reden wurden vorgetragen, Fotos gemacht, Bücher signiert. Harold Wilson hatte ein Telegramm geschickt und behauptete, einer meiner Bewunderer zu sein, allerdings hatte er meinen Namen falsch geschrieben. (Er nannte mich »Mr Sandler«.) Auch John Lennon ließ Grüße ausrichten.
    »Sie haben im Großen Krieg gekämpft?«, fragte ein Journalist vom Guardian in einem langen Interview, das zufällig mit der Vergabe des Preises zusammenfiel.
    »Für mich hatte er nichts Großes«, sagte ich. »Im Gegenteil, wenn ich mich recht erinnere, war das Ganze eine verdammt fürchterliche Sache.«
    »Ja, natürlich«, sagte der Journalist und lachte verlegen. »Nur dass Sie nie darüber geschrieben haben, oder?«
    »Habe ich das nicht?«
    »Wenigstens nicht explizit«, sagte der Gute mit aufkommender Panik im Blick, als würde ihm gerade bewusst, dass er womöglich eines meiner Hauptwerke übersehen hatte.
    »Ich nehme an, das hängt davon ab, wie man explizit definiert«, antwortete ich. »Ich bin ziemlich sicher, dass ich mehrfach darüber geschrieben habe. Manchmal klar erkennbar, manchmal ein wenig unter der Oberfläche versteckt. Aber er ist doch präsent, oder? Würden Sie mir da nicht zustimmen? Oder mache ich mir nur etwas vor?«
    »Nein, natürlich nicht. Ich meinte nur …«
    »Wenn ich mit meiner Arbeit nicht völligen Schiffbruch erlitten habe, meine ich. Vielleicht habe ich meine Absichten ja nicht klar genug gemacht. Vielleicht war meine ganze Schreibkarriere ja nichts als eine Tüte Luft.«
    »Nein, Mr Sadler, natürlich nicht. Ich denke, Sie haben mich missverstanden. Natürlich spielt der Große Krieg eine bedeutende Rolle in Ihrem …«
    Mit einundachtzig muss man sich seinen Spaß suchen, wo man kann.
    Ich hatte mir für die Nacht ein Hotel in London genommen, da ich die Stadt fünfzehn Jahre zuvor verlassen und mich, wie man so sagt, aufs Land zurückgezogen hatte. Trotz zahlreicher Anfragen meiner alten Freunde, doch noch bis in die frühen Morgenstunden diverse Bars zu besuchen und Gesundheit und Lebenserwartung in Gefahr zu bringen, verabschiedete ich mich zu angemessener Stunde und kehrte ins West End zurück, um nach einer passablen Nachtruhe einen frühen Zug nehmen zu können. Als ich an der Rezeption vorbeikam, überraschte mich jedoch einer der Hotelangestellten damit, dass er mir ein »Moment, bitte!« hinterherrief.
    »Sadler«, sagte ich, winkte mit dem Schlüssel und nahm an, dass man mich für einen greisen Eindringling hielt. »Elfhundertsieben.«
    »Natürlich, Sir«, sagte der Mann, kam herbeigelaufen und erreichte mich, bevor ich in einen der Aufzüge steigen konnte. »Ich soll Ihnen nur ausrichten, dass da eine Dame ist, die auf Sie wartet. Sie sitzt seit etwa einer Stunde in der Bar.«
    »Eine Dame?«, fragte ich und zog die Brauen zusammen. »Um diese Uhrzeit? Ist das kein Missverständnis?«
    »Nein, Sir. Sie hat persönlich nach Ihnen gefragt. Sie sagte, Sie kennen sie.«
    »Und wer ist sie?«, fragte ich ungeduldig. Das Letzte, was ich wollte, war, so spät noch
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