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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Redaktion«, hatte der Verfasser geschrieben, »ich übersende Ihnen hier eine Lageskizze. An den gekennzeichneten Stellen werden Sie interessante Informationen entdecken. Prüfen Sie es nach! Sie werden überrascht sein. Sicher ist Ihnen dies einen Bericht wert.«
    »Interessante Informationen« war fettgedruckt gewesen. Unterschrieben war das Ganze mit »Ein Informant«. Nicht handschriftlich natürlich. Heutzutage bekam man alles als Computerausdruck.
    Die Redakteure hatten in der gestrigen Konferenz eine Viertelstunde lang diskutiert, ob es sich überhaupt lohnte, das Ganze ernst zu nehmen und jemanden hinzuschicken – wussten sie doch weder, was sich hinter den braunroten Kreuzchen verbarg, noch, ob man sie nicht einfach auf die Schippe nehmen wollte. Schließlich hatte der Redaktionsleiter entschieden, dass keiner der Festangestellten seine Zeit damit vergeuden sollte. Sich Informationen entgehen zu lassen, die sich womöglich als brisant entpuppen könnten, lag jedoch auch nicht in seinem Interesse.
    Und so hatte es Patrick Seiler getroffen, Praktikant bei der Tagespresse seit exakt drei Wochen und zwei Tagen. Stellte sich das Schreiben als Scherz heraus, hatte die Zeitung nichts verloren, außer etwas von Patricks Zeit. War es jedoch ein ernstgemeinter Hinweis, würden sie in der Berichterstattung die Nase vorn haben. Was auch immer sich hinter den drei Markierungen verbergen mochte.
    Patrick faltete den Lageplan wieder zusammen und schob ihn in die Seitentasche seines Anoraks. Es wurde Zeit nachzusehen, was da auf dem Gelände versteckt war. Der Mann mit der Kettensäge war es sicher nicht. Er ging ein paar Schritte in Richtung des Eingangstores, als ihm einfiel, dass er etwas vergessen hatte.
    Der Fotoapparat war eine billige Digitalkamera, aber für das hier würde es bestimmt reichen. Hubert Belli, der das Ressort »Lokales« betreute und derzeit für Patrick zuständig war, hatte ihm empfohlen, alles zu dokumentieren. Man wusste vorher nie, wozu man die gesammelten Informationen einmal brauchen würde. Eigentlich fotografierte Patrick alles mit seinem Handy, aber das war in der Redaktion nicht gern gesehen. Und so schob er das silberne Gerät durch die braunfleckigen Eisenstangen, schwenkte die Kamera von links nach rechts und versuchte, den gesamten Bereich zu erfassen. Auf der schwarz-weißen Kopie hatte das Gelände irgendwie anders gewirkt. Obwohl der Ausdruck der Luftaufnahme ziemlich unscharf war, hatte es gestern nicht lange gedauert, bis Hubert und er den Ort gefunden hatten, der auf dem Bild zu sehen war. Eine Stadt hatte der Informant nicht dazugeschrieben, aber sie waren der Einfachheit halber davon ausgegangen, dass es sich um Leipzig handelte. Der Plan war eine Kopie eines Satellitenbildes gewesen, wie man sie bei Google Maps finden konnte. Er enthielt nur einen einzigen Straßennamen, das jedoch hatte ausgereicht, um die Gegend zu finden. Man konnte im Internet genau jenen Ausschnitt heranzoomen, den der Informant kopiert und ihnen geschickt hatte.
    Patrick ließ den Fotoapparat in die Jackentasche gleiten, zog die Handschuhe wieder an und ging in Richtung des Eingangstores. Es war mit einer Kette und einem mächtigen Vorhängeschloss gesichert. Einen Wachschutz gab es nicht – das hatte Hubert recherchiert. Wozu auch? Der ehemalige VEB Metallwaren war eine Industriebrache, die keinen Investor interessierte. An den beiden Säulen links und rechts des Tores blätterte der Putz ab. Die Scheiben im Pförtnerhäuschen waren eingeschlagen. Ein rostiges Blechschild verkündete, dass es sich hier um ein Betriebsgelände handelte und der Zutritt verboten war. Vorsichtig balancierte Patrick um ein paar schmutzige Schneehaufen herum ganz dicht an das Tor und betrachtete die Eisenstäbe. Keine frischen Kratzspuren, auch Kette und Schloss waren unbeschädigt und rosteten stumm vor sich hin. Hier war seit Jahren niemand hindurchgegangen. Er schaute in den anthrazitfarbenen Himmel und seufzte, während er darüber nachdachte, in die Redaktion zurückzufahren. Wahrscheinlich war das ganze Schreiben ein Witz. Jemand machte sich über die Tagespresse lustig.
    Als hätten sie einen eigenen Willen, umklammerten seine behandschuhten Finger die Gitterstäbe und rüttelten daran. Das Tor bewegte sich keinen Millimeter. Wenn jemand hier drin gewesen war und etwas versteckt hatte, dann war derjenige nicht durch diesen Eingang gegangen. Patrick beschloss, sich die Skizze noch einmal anzuschauen und dann eine
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