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Das sechste Herz

Das sechste Herz

Titel: Das sechste Herz
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Pappeln niederließen.
    Das Haus mit dem Turm wurde auf beiden Seiten von niedrigeren Gebäuden flankiert. Links gab es einen zweigeschossigen Flachbau mit einer Rundbogentür, rechts einen spitzgiebeligen Anbau, dessen Sprossenfenster von außen vergittert waren. Patrick verlangsamte seine Schritte. In seinen Ohren hallte das feine Knirschen toter Äste wider, die unter den Füßen zerbrachen. Sein Blick wurde magisch von dem Haus in der Mitte angezogen. Beim Näherkommen merkte er, dass das, was von der Straße aus wie ein Turm ausgesehen hatte, gar kein Turm im eigentlichen Sinne war. Das mittlere Gebäude hatte vier, nur wenige Meter breite Stockwerke. Die oberste Etage war außen mit grauen Schieferplatten verkleidet und endete in einem spitzen Dach, neben dem ein hoher Schornstein aufragte. Das, was er von fern für den Turm gehalten hatte, entpuppte sich als halbrunder Treppenaufgang, der bis zum dritten Stock reichte. Er war aus verschiedenfarbigen Natursteinen gemauert. Die nur wenige Zentimeter breiten Fensterlöcher glichen Schießscharten, das Dach bildete einen halbrunden Hut aus schwarzen Schindeln.
    Patrick fröstelte. Für ihn gab es keinen Zweifel – dies hier war die Stelle der Markierung. Er musste nicht noch einmal auf die Kopie schauen, um sich zu erinnern, dass eins der Kreuzchen genau auf diesem Turm, an der rechten Seite des Gebäudes, eingezeichnet war.
    Die Wildnis war einem mehrere Meter breiten Weg aus Betonplatten gewichen. Ein Blick auf sein Handy zeigte Patrick, dass seit Huberts Anruf noch nicht einmal eine Viertelstunde vergangen war, obwohl ihm der Zeitraum viel länger vorgekommen war. Der Gedanke an Hubert brachte die Erinnerung an dessen Ermahnungen mit, und Patrick schoss ein paar schnelle Fotos. Um ihn herum war es jetzt still. Unnatürlich still. Er hob die Füße und stampfte ein paarmal auf, aber das änderte nichts an seinem Unwillen, dieses Gebäude zu betreten. Die scharfkantigen Ränder der zerbrochenen Scheiben schienen ihn höhnisch anzugrinsen.
    Langsam schritt er auf den Treppenturm zu. Der Eingang befand sich an der linken Seite, die Tür aus massivem Metall schien verschlossen. Als Patrick eine Hand ausstreckte und die gebogene Klinke berührte, schwang sie jedoch lautlos nach innen und gab den Blick auf ein Treppenhaus im düsteren Zwielicht frei, dessen ausgetretene Stufen im Rund nach oben führten.
    Während er sich am Türrahmen abstützte, reckte Patrick den Kopf nach innen und versuchte, im Halbdunkel Einzelheiten zu erkennen, aber es gelang ihm nicht. Die Sicht endete an der ersten Biegung. Es würde ihm wohl nichts anderes übrig bleiben, als hineinzugehen und nachzuschauen. Ärgerlich, dass er keine Taschenlampe dabeihatte. Er setzte den linken Fuß nach innen, wartete einen Moment und zog das rechte Bein nach. Die Kälte war ihm inzwischen unter den Anorak gekrochen und tastete sich die Wirbelsäule hinab. Es roch nach Urin und faulendem Laub, vermengt mit Schimmel. Angewidert betrachtete er den Unrat auf dem Boden. Von zerdrückten Dosen über feuchte Zeitungen bis hin zu leeren Weinflaschen gab es hier alles. Sogar Toilettenpapier schimmelte in einer Ecke vor sich hin. Wie von selbst blähten sich Patricks Nasenflügel, dann rief er sich zur Räson. Seine Aufgabe war es, eine »Information« zu finden. Ungünstig nur, dass auf dem zweidimensionalen Bild nicht auszumachen war, in welchem Stockwerk sich der Anhaltspunkt befand. Die Eisfinger waren inzwischen seinen Rücken weiter hinuntergekrabbelt, und er schauderte. Was von außen nicht zu sehen gewesen war – im Innern des Turms ging es nicht nur nach oben, sondern auch nach unten. Mit vorgerecktem Hals spähte Patrick um die Ecke. Die Stufen führten in eine schier undurchdringliche Schwärze hinab. In der Hoffnung, den Hinweis oben zu finden, setzte er sich in Bewegung. Hinauf war es nicht gänzlich dunkel, ein dämmriges Zwielicht tauchte alles in graublaue Schatten. Die Stufen waren feucht und rutschig. An der Wand schwang sich ein rundes Holzgeländer entlang. Patrick vermied es, den Handlauf zu berühren.
    Schon nach einer knappen Umrundung kam das erste der winzigen Fenster in Sicht. Die Scheibe war zwar noch intakt, jedoch von Spinnweben fast blind. Er ging schneller, ließ den Blick von Wand zu Wand schweifen, musterte die Stufen und die Decke über seinem Kopf und hielt dabei nach etwas Ungewöhnlichem Ausschau, nach etwas, das sich nicht schon seit Jahren hier befand, etwas, hinter dem
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