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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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verwandelte sich in lautes Gelächter.
    In der nächsten Pause verkündete Ofer Silberman allen in der Schule, dass Itzik, der Trottel, in Bracha, die Kröte, verliebt sei. Am Ende des Tages kassierte Bracha von dem verlegenen Itzik einen Tritt.
    Jahre danach behauptete Fejge, Itzik habe nur deshalb aufgehört, Gedichte zu schreiben, weil Bracha ihn zum Gespött gemacht hatte, nur deshalb sei er,
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, in das Landwirtschaftsinternat gegangen, und dann sei es noch schlimmer gekommen, und er sei,
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, nach Amerika gegangen.

    Ich hatte damals geschwiegen und auch jetzt verriet ich nichts von meiner heimlichen Rache.
    »Also, wo ist der schöne Mann?«, wollte Bracha wissen.
    »Er ist weit weggefahren«, sagte Dorit mit einer Stimme, bei der es mir kalt über den Rücken lief.
    »Er ist nicht zu Fejges Beerdigung gekommen?« Bracha riss enttäuscht die Augen auf. »Aber ich bin gekommen, weil ich ihn treffen wollte«, stieß sie hervor.
    »Vielleicht trefft ihr euch ja bei der nächsten Beerdigung«, sagte Dorit.
    »Und wo ist Chajale?«, erkundigte sich Bracha jetzt auch noch nach anderen. »Wisst ihr noch, wie wir immer zusammengesteckt haben? Wisst ihr noch, was für Freundinnen wir waren?« Ihre Augen leuchteten auf.
    »Ja, das wissen wir noch«, antwortete Dorit. »Wir wissen auch, dass das über vierzig Jahre her ist.« Ihre metallische Stimme löschte den Nostalgiefunken in Brachas Augen.
     
    Golda Poschibuzki   – ein Schauer überlief mich, als ich sie auf dem Sandweg entdeckte. Ich erkannte sie sofort, ich erkannte auch das schwarze, für Beerdigungen und Hochzeiten reservierte Kleid, die kleine Lacktasche und die schweren Schuhe.
    Ich betrachtete sie und stellte fest, dass ihre Haare zwar dünner und grauer geworden waren, sie aber auch jetzt, nach all den Jahren, noch immer ihren wachen, scharfen, durchdringenden Blick hatte. Nur die Haut ihres Gesichts verriet unbarmherzig ihr fortgeschrittenes Alter.
     
    Golda hatte das Tor erreicht. Kaum einer ist noch geblieben, schien ihr trauriger Blick zu sagen. Sie trat zu uns, der vertraute Duft von »Courage« wehte mir entgegen. Sie umarmte erst Dorit lange, dann auch mich. Ihre Anwesenheit setzte mich unter Druck, wie immer. Ich versuchte, Haltung zu bewahren und zu lächeln.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie und ging zu den Gräbern hinüber.
    Wir blieben am Tor stehen.
    »Wir müssen uns unbedingt einmal treffen«, beschied uns Bracha.
    »Ich habe am Tag der Shoah frei«, schlug ich vor und hoffte, damit ihre Begeisterung zu bremsen.
    »Am Tag der Shoah habe ich wirklich viel zu tun, ich bin zur Zeremonie von Yad Vashem eingeladen, zu der von Amcha und zu der der Nachfolgenden Generationen, sodass ich wirklich   – aber wirklich   – keine Zeit habe«, entschuldigte sie sich.
    »Eine VIP der Shoah.« Ich lachte. Auch Dorit musste lachen.
    »Ja, eine VIP der Shoah«, wiederholte Bracha stolz, sie nahm es als Kompliment. Sie wandte sich an Dorit. »Habt ihr noch immer die Gästezimmer? Und arbeitest du noch als Krankenschwester in der Chirurgie?« Und mich fragte sie: »Und du   – was ist mit dir, worüber schreibst du gerade? Wirklich, ich habe dich seit Jahren nicht mehr gesehen.« Sie musterte mich. »Du kommst überhaupt nicht mehr ins Viertel.«Sie gab sich selbst die Antwort: »Na gut, du hast ja niemanden zu besuchen. Dein Vater ist schon vor Beginn der Zeitrechnung gestorben, und deine Mutter auch.« Sie versprach mir: »Eines Tages werde ich deine Bücher lesen. Und wohin geht ihr jetzt?«
    »Zurück zu den Gästezimmern«, antwortete Dorit ungeduldig.
    Ich half ihr, Bracha abzuwimmeln. »Zu den Schiwa-Festivitäten.«
    »Vielleicht kannst du ja den Mohnkuchen deiner Mutter mitbringen«, sagte Bracha aufgeregt.
    »Ich habe schon seit Jahren keinen Mohnkuchen mehr gebacken«, informierte ich sie.
    »Wie sehr habe ich ihren Mohnkuchen geliebt, ich habe immer darauf gewartet, dass endlich jemand stirbt«, sagte Bracha und meinte es auch so.
    Dorit lächelte. »Hast du überhaupt das Rezept?«, fragte sie mich.
    »Meine Mutter hat mir kein Erbe hinterlassen, auch kein Rezept«, sagte ich. »Aber ich habe jede Menge Backbücher. Jahrelang habe ich versucht, ein Rezept für einen Mohnkuchen zu finden, der so schmeckt wie ihrer. Leider ist es mir bis heute nicht gelungen, einen Kuchen zu backen, der so trocken und so verbrannt ist wie der von meiner Mutter.«
    Dorit lachte, und ich lachte auch. Bracha hörte schon nicht mehr zu, ihre Augen
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