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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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in ihr waren winzig, und die Autos sahen aus wie Spielzeugautos, und das Meer war blau und weit weg.
    Ich und mein Vater fuhren mit dem Riesenrad hinauf und hinunter und ich sang für ihn: ›Mein Papa, komm zum Lunapark, wir reiten auf dem weißen Pferd, mein Papa, komm zum Lunapark, mein Papa ist so schön und stark.‹ Ich brachte den Text ein bisschen durcheinander und auch die Melodie, und er lachte vor Glück.
    Nach der Fahrt mit dem Riesenrad kaufte er mir einen mit Helium gefüllten blutroten Luftballon.
    Ich hatte Angst, den Ballon zu halten, ich fürchtete, erkönnte mir davonfliegen. Mein Vater schlug vor, die Schnur des Luftballons an meiner Hand festzubinden. Er hielt die Schnur, ich streckte die Hand aus. Und da passierte es. Mein Vater erhob sich von der Erde und flog mit dem Luftballon hinauf in die Wolken und verschwand.«
     
    Itzik Rosenfeld, Dorits schöner Bruder, gewann im Aufsatzwettbewerb den ersten Preis. Ich bekam noch nicht einmal einen Trostpreis.

    Vorhin, auf dem Weg zum Friedhof, war mir Alon aufgefallen, Dorits Ehemann, den ich seit Jahren nicht gesehen hatte. An seiner Seite ging langsam eine dünne junge Frau. Sie sieht ihm ähnlich, hatte ich gedacht, und sie hat etwas Müdes an sich, so wie Dorit heute. Dann hatte ich auch das Auto gesehen, das ihnen auf dem Sandweg folgte, der von der Straße zum Friedhofstor führte. Der Fahrer war ein junger Mann von ungefähr dreißig, seine Gesichtszüge erinnerten an Schmulik Rosenfeld und in seinen Augen blitzte Fejges Blick.
    Dorits Kinder, hatte ich gefolgert und noch einen Blick auf Alon geworfen, der müde und erloschen aussah. Offenbar hat er Fejge geliebt, war es mir durch den Kopf geschossen. Wenigstens einer, der um sie trauert.

    »Er heißt Alon«, hatte Dorit damals gesagt, als sie mir von ihrer Liebe zu ihrem Kommandeur berichtete. Am Tag, als der Jom-Kippur-Krieg endete, kündigte Itta Rosenfeld DoritsHochzeit an. Gegen Abend fuhren Nachbarn und Freunde in einem Egged-Autobus, den Schmulik lenkte, zu einer Militärbasis irgendwo im Norden, wo die Hochzeit stattfinden sollte.
    Als wir ankamen, rannte Dorit mir entgegen. »Schau mich an«, rief sie.
    Ich sah eine Uniform und einen Brautschleier. Ich sah eine Frau, die ich nicht kannte   – Dorit aus dem Emek.
    Ich sah einen kräftigen Offizier und eine schöne Offizierin, ich sah Freunde aus den Kibbuzim und Moschawim, ich sah Soldaten, die von der Front zurückgekommen waren, ich sah, wie sich alle gegenseitig auf die Schultern klopften. Und da war der Geruch von Uniformen, von Kuhställen und Orangenhainen.
     
    »Ein Soldat, ein Soldat ist er«, sang Dorit mit ihrer klaren Stimme, »was will, was will ich mehr   …« »Doritke hat einen echten Mann gefunden«, begeisterte sich ihr Vater Schmulik, und ihre Mutter Itta weinte vor Glück. Nur Itzik, ihr Bruder, erfreute sich an etwas anderem.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, wie er einem der Emek-Mädchen zuzwinkerte. Dann verbarg sich der Schwarm aller Mädchen mit ihr hinter einem Guavenbaum am Rand des Platzes, ich konnte sehen, wie sich dort ihre Körper und ihre Lippen aneinanderschmiegten.
    Zu meinem Bedauern musste ich auf die Fortsetzung des intimen Schauspiels verzichten, denn Fejge zog mich zum Hochzeitsbaldachin und schrie auch Itzik an, er solle sofort die Finger von seiner
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3 lassen.
     
    Die Zeremonie begann. Der Rabbiner stimmte Segenssprüche an. Hinter mir stand Chajale Fink, die wie eine zerkratzte Schallplatte vor sich hin leierte: »Schaut sie an, sie verlässt uns, sie flieht aus dem
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, schaut sie an   …«
    »Keine Sorge,
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, das
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wird sie wieder einholen«, hörte ich plötzlich eine Stimme laut und bestimmt hinter uns sagen.
    Ein Flüstern ging durch die Reihen der Gäste. Keiner hatte die prophetischen Worte meiner Mutter verpasst. Alle schauten sie an.
    Wenn andere dabei sind, schweigt sie nicht, da hat sie immer was zu sagen, dachte ich wütend.
    Zu meiner Freude kam mir der Rabbiner zur Hilfe. Er bat um Ruhe, er wollte mit der Zeremonie fortfahren. Chajale bog sich vor Lachen. Ich wurde noch wütender.

    Dorit und ich, nur wir beide, waren am Friedhofstor angekommen.
    »Sag, was wissen wir überhaupt von ihnen?« Dorit warf einen Blick zurück auf die Reihen der Grabsteine. Sie seufzte.
    Ich ging nicht auf ihre Frage ein und sagte nur: »Das ganze
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ist hier.« Und vielleicht ist das gut so, dachte ich, doch das sagte ich nicht.
    »Fast«, sagte Dorit. »Nur deine
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