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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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schließen, aber auf Aksam darfst du nicht verzichten.«
    Dorit wich ihrem Blick aus.
    Die Lage ist ernst, dachte ich, Dorit hat noch nicht mal genug Kraft, um sich mit Chajale zu streiten.
    Mit kleinen, gemessenen Schritten ging Dorit durch den Garten, sie entfernte sich von uns, verschwand im Haus.
     
    »Wie deine Mutter, am Schluss wird sie allein bleiben«, sagte Chajale traurig. »Seit Jahren wollte ich es dir schon sagen«, plötzlich zitterte ihre Stimme, »du weißt es bestimmt nicht, aber am Ende seines Lebens wollte Dr.   Wollmann deine Mutter heiraten. Sie hat sich geweigert und er hat meine Mutter gebeten, dich anzurufen und dich um Hilfe zu bitten, aber meine Mutter kannte Helena. Sie sagte zu Dr.   Wollmann, niemand könne Helena umstimmen, auch du nicht. Aber ich habe nie aufgehört darüber nachzudenken, ob ich dich damals nicht trotzdem hätte anrufen müssen.« Sie seufzte. »Nun ja, ich hätte besser als alle anderen wissen müssen, dass man nur Radioapparate reparieren kann, und auch das nicht immer. Trotzdem muss man es versuchen, nicht wahr?« Sie schaute mich flehend an, ihre Augen baten mich um Bestätigung und Trost.
    Aus dem Augenwinkel sah ich Adi. Er ging den Weg hinauf zum Parkplatz. Mir kam es vor, als wäre er jung und gesund hierher gekommen und ginge als alter, kranker Mann fort.
    Chajale bemerkte ihn auch, ich sah, dass sie erschrak. Sie rannte ihm hinterher. Und mir wurde klar, dass sie dabei war, sich in die nächsten Reparaturarbeiten ihres Lebens zu stürzen.
     
    Und ich war allein mit Golda, die mit ihren Töpfen aus der Küche zurückgekommen war.
    »Deine Mutter war eine kluge Frau«, sagte sie.
    Was für eine Neuigkeit war das doch. Es gibt wirklich keinen, der diesen Spruch auslässt, dachte ich.
    »Deine Mutter hat immer zu mir gesagt: Golda, wann hörst du endlich auf, Brachale Geschichten von der Shoah zu erzählen? Was kann sie damit anfangen, mit
Krematorium
,
Transport
,
Aktionen
? Gib deiner Bracha Freude. Die Shoah ist nicht ihr Leid, sie ist unser Leid.« Golda seufzte tief. »Leider habe ich nicht auf sie gehört.«
    Auch Golda betrachtete nun wie ich den Himmel, der sich langsam verdunkelte, nur ein paar Sterne zeigten sich.
    »Dr.   Wollmann und deine Mutter fehlen mir so sehr. Sie waren die Einzigen, die mir in jenen schweren Tagen geholfen haben«, fuhr Golda fort. »Weißt du, ich habe damals mit deiner Mutter gesprochen, kurz nachdem sie festgestellt hatte, dass sie schwanger war. Ich weiß noch, dass sie sich große Sorgen gemacht hat. Damals wusste man nicht, wie man mit der Krankheit von Jakob, deinem Vater, umgehen sollte, und man wusste auch nicht, was mit ihrer Schwangerschaft werden würde, sie war nicht mehr jung, es war sehr gefährlich für sie, dich auf die Welt zu bringen. Dr.   Wollmann schätzte, dass Jakob nur noch zwei, drei Monate zu leben hatte, also beschlossen beide, dein Vater und deine Mutter, dass er ins Sanatorium gehen würde, dass alles versucht werden sollte, dich zu retten.«
    Ich verarbeitete die Informationen. Er hatte Tuberkulose, meine Mutter war schwanger, ich sollte bald auf die Welt kommen. Ich hätte mich anstecken können und meine Mutter war gezwungen, sich zu entscheiden   – zwischen ihm und mir, er oder ich.
    »Aber er,
nebbech
, hatte kein Glück«, hörte ich Golda traurig sagen. »Er blieb noch acht Jahre am Leben. Acht Jahre rang er im Sanatorium mit dem Tod. Deine Mutter hat das ganz verrückt gemacht. Als hätte sie während der Shoah nichtschon genug durchgemacht. Na ja, hat sie damals zu mir gesagt, wenn das Leben wirklich etwas wäre, um das man sich reißen müsste, dann hätten wir es nicht umsonst bekommen.«

    Jakob schaut Helena an, deren Bauch die ersten Anzeichen der Schwangerschaft zeigt.
    Ihn ergreift der Wunsch, sie zu umarmen, ihren Körper ganz nah an seinem zu spüren. Wie ein Junge, der zum ersten Mal der Liebe begegnet, fühlt er sich bis in die letzte Faser seines Körpers lebendig, er fühlt, wie das Blut warm durch seine Adern fließt, und er liebt sie, wie er noch nie jemanden geliebt hat.
    Helena klappt den Koffer zu und trägt ihn zur Tür, ihre Lippen sind zusammengepresst. Sie bedeutet ihm mit einem Blick, dass es so weit ist.
    Blass, angespannt, mit schwerem Herzen nehmen sie Abschied, kurz und steif. Als er das Haus verlässt, sieht er die Treppe, die hinunter zur Straße führt, und das Taxi, das dort auf ihn wartet.
    Er macht sich auf seinen letzten Weg, zum Sanatorium, macht
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