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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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wartete auf die Schokoladencreme, die noch auf dem Herd köchelte.
    Plötzlich klingelte das Telefon. »Bracha!«, rief ich und lachte.
    Aber es war Chajale.
    »Alon hat sich das Leben genommen«, teilte sie mir mit. »Du musst sofort kommen!« Sie legte auf.
    Mein Mann nahm die Stille wahr, die sich über mich gesenkt hatte. Als ich mich auf den Weg machte, drückte er mir den Mohnkuchen in die Hand. Ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich den Kuchen nicht schnell genug mit Schokoladencreme überzogen hatte.
    Als ob das etwas an der Realität geändert hätte.
     
    Wieder fuhr ich zu dem Haus im Emek.
    Während der ganzen Fahrt begleiteten mich Bilder von Dorits Hochzeitstag, ich sah ihr glückliches Gesicht vor mir, sah sie auf mich zurennen, in Uniform und Brautschleier.
    »Schau mich an«, hatte sie stolz gerufen und gesungen: »Ein Soldat, ein Soldat ist er, was will, was will ich mehr   …«
    Und danach sah ich den vorbeiwandelnden Schatten, den Rasenmäher, der Grashalme und Brennnesseln nach allen Seiten spritzen ließ.
     
    Als ich ankam, lag der Garten im nachmittäglichen Licht, alles war erfüllt vom Duft frischen Grüns und einer lastenden Beklemmung.
    Dorit saß allein in der Küche. Eine hohle Stille umgab sie.
    Wir umarmten uns steif und sagten kein Wort.
    In der Tür zum Wohnzimmer sah ich Chajale stehen, das Mobiltelefon ans Ohr gedrückt, und hörte sie von Alons Tod berichten.
    »Siva steigt schon ins Flugzeug, Ofer kommt morgen, jetzt rufe ich Sabusch an, dann Bracha«, informierte sie Dorit.
    »Wie fühlst du dich?«, fragte ich Dorit vorsichtig.
    »Ich weiß noch nicht, was ich sagen soll«, antwortete sie, ihr Blick war verloren.
    Bei uns war der Tod nicht das Schlimmste, hatte sie neulich gesagt.
    Mein Herz flog ihr zu.
    Wir saßen da und schwiegen, auch als Aksam in die Küche kam.
    Er trat zu Dorit, legte ihr mit einer zärtlichen, zögerlichen Bewegung die Hand auf die Schulter und zog sie sofort wieder zurück.
    Dorit rührte sich nicht.
    Aksam bat uns, zu den anderen ins Wohnzimmer zu kommen.
     
    Ich warf einen Blick hinein und entdeckte Adi. Er trug eine Pilotensonnenbrille, sein sportliches Outfit war nach der neuestenMode, seine Haare waren kaum ergraut, nur ein kleiner Bauch verriet trotz allem etwas von seinem Alter. Dann sah ich auch Dorits Kinder und begriff, dass er mit ihnen sprach.
    »Eigentlich war euer Vater der Einzige, der damals heil aus dem Krieg zurückgekommen ist. Es war ein schrecklicher Krieg.« Seine Stimme brach die Stille, die in der Küche herrschte. »In diesem Albtraum von einem Krieg gab es weder Logik noch Ordnung, wir wurden einfach niedergemäht, sind gefallen, wurden gefangen genommen. Ich wusste damals überhaupt nicht, was ein Kriegstrauma ist. Für mich war Alon ein Held, ja, ein Held, ich übertreibe nicht. Er hat mir das Leben gerettet. Er ist hinein in den brennenden Panzer und hat mich dort herausgeholt. Ohne ihn wäre ich nicht hier. Euer Vater war ein Held. Punkt. Kein Komma, kein Fragezeichen. Ein Held. Und ein Freund.« Seine Stimme erstarb.
    Ein Windzug drang durch das offene Fenster herein.
    »Mir ist kalt«, murmelte Dorit, sie zitterte.
    Aksam brachte ihr schnell einen Pullover.
    Wieder war Adis Stimme zu hören. »Als ich aus dem Krankenhaus kam, war der Krieg vorbei und wir stürzten uns sofort auf die Freuden des Lebens. Fast alle aus unserer Einheit haben schnell geheiratet. Aber eure Eltern   – sie waren das schönste Paar, das verliebteste, das vollkommenste. Wir waren andere geworden, keiner war nach dem Krieg so wie zuvor. Nur sie, so dachte ich damals, nur diese beiden, als Einzige aus der Einheit, sind heil und gesund aus diesem Krieg zurückgekehrt.«
    Ich kämpfte mit den Tränen und schaute Dorit durch den Nebel vor meinen Augen an.
    »Nie habe ich mit Alon über den Krieg gesprochen«, sagte Dorit. In ihren Augen sammelten sich Tränen.
    Sie wickelte sich fester in den Pullover.
    Wieder kam Aksam und forderte uns auf, uns doch den anderen anzuschließen.
    Dorit ließ sich Zeit.
    Ich legte ihr die Hand auf die Schulter.
    »Komm, lass uns zusammen hinübergehen«, sagte ich.
    Dorit erhob sich. Ihr wurde schwindlig, für einen Moment lehnte sie sich an mich.
    »Heute bin ich katatonisch«, sagte sie.
     
    Im Wohnzimmer lernte ich Dorits und Alons Kinder kennen. »Das ist Jardena«, stellte mir Dorit ihre Tochter vor. »Wir haben ihr einen patriotischen Namen gegeben. Was waren das noch für Zeiten«, sagte sie mit
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