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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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einem bitteren Lachen. »Und das ist Kela 9 . Alon hat den Jom-Kippur-Krieg in Kala’at Nimrod beendet, auf dem Golan, und Kela ist an Jom Kippur geboren, fünf Jahre nach Kriegsende. Alon hat den Namen ausgesucht. Ich war dagegen. Ich wäre mit Nimrod als Kompromiss einverstanden gewesen, aber Alon tobte und schrie: Der Junge heißt Kela oder er bleibt im Krankenhaus! Ich habe damals nicht verstanden, dass das eigentlich schon ein erstes Anzeichen war. Ich war müde und erschöpft von der schweren, langen Geburt.« Sie seufzte und murmelte: »Kela   – nichts habe ich damals verstanden.«
    »Jetzt fängt man auf einmal an zu reden«, sagte Jardena, und zu ihrem Bruder gewandt fügte sie hinzu: »Auf einmal ist Schluss mit der Zensur, hör nur, unsere Mutter macht den Mund auf.«
    »Dafür hat es sich gelohnt zu sterben«, antwortete er zornig.Dieser Zorn war mir vertraut. Ich fing einen Blick von
    Chajale auf, sie wusste genau, was ich dachte. Dorits Blick verlor sich in der Ferne.
    Adi und Aksam besprachen den Text für die Todesanzeige, die Formalitäten für die Beerdigung und die Organisation der Schiwa.
    Als Freunde der Kinder kamen, sprangen Jardena und Kela sichtlich erleichtert auf und verschwanden mit ihnen in ihren Zimmern.
    Dorit unterbrach Adis und Aksams Diskussion. »Ich will keine Todesanzeige, ich will keine große Beerdigung mit vielen Trauergästen und ich will keine Schiwa.«
    Plötzlich wurde mir klar, dass mein Vater eine Todesanzeige in einer polnischen Zeitung gehabt hatte. Und eine kleine Beerdigung mit wenigen Trauergästen   – bestimmt war allein meine Mutter dagewesen. Und anschließend saß sie Schiwa mit der polnischen Zeitung, die sie nicht las, mit dem Kaffee, den sie nicht trank, und mit ihren Beruhigungstabletten.
     
    Chajale war mit ihren Telefonanrufen fertig. Sie setzte sich neben mich und flüsterte mir ins Ohr: »Jetzt wird sie endlich anfangen zu leben.«
    Jetzt wird sie endlich anfangen zu leben.
    Bestimmt hatten sie das damals auch über meine Mutter gesagt.
    »Wenn sie auf mich gehört hätte«, sagte Chajale, »wäre Alon heute noch bei uns. Vielleicht weit weg, vielleicht sogar in irgendeiner Anstalt in der Schweiz, aber am Leben.«
     
    Mein Vater war in einer Anstalt. Hat das sein Leben verlängert? Hat man dort auf ihn aufgepasst? Mein Kopf schwirrte.Ich versuchte mich mit dem Gedanken zu beruhigen, dass das jetzt ohnehin keine Rolle mehr spielte.
    Ich hörte, wie Adi und Aksam Dorit vorschlugen, die Beerdigung erst in drei Tagen stattfinden zu lassen, damit Itzik aus Amerika anreisen könne. Aus Dorits Blick konnte ich schließen, dass Itzik noch nicht entschieden hatte, ob er kommen würde. »Ich werde noch Alons Grab fotografieren müssen«, sagte sie zu mir.
     
    Eine kleine Gruppe von Freunden traf ein. Mit jedem Neuankömmling wurde die Stille tiefer, die Beklemmung intensiver, sie klebte an einem fest wie Wüstensand an einem schwitzenden Körper.
    »Still, still, schweig still«, fing Chajale, die Stille noch nie hatte aushalten können, an zu summen, »still, still, schweig still, hier wachsen Gräber.«
    Alle Augen richteten sich auf sie. Die Gäste waren blass geworden.
    Nur Dorit und ich lächelten. Wir wissen, wie sie tickt, dachte ich.
    Weitere Trauergäste erschienen, das Wohnzimmer füllte sich, der Druck, unter dem Dorit stand, wurde stärker, sie stand auf und ging mit kleinen Schritten hinaus in den Garten. Chajale und ich folgten ihr. Auf dem Gartentisch lagen Fotoalben. Chajale fing sofort an, in einem zu blättern. Aus der Küche drang der Geruch von etwas Angebranntem.
    »Es brent, brider, es brent, oj, undser orem schtetl brent   …«
, fing Chajale an zu singen.
    Kela streckte den Kopf aus dem Küchenfenster. »Nicht das
schtetl
, nur der Toast!«
    »Sag, erinnerst du dich noch, wie Fejge Brot geschnitten hat?«, fragte Chajale.
    Wenigstens hatte sie aufgehört zu singen.
    »Klar erinnere ich mich«, antwortete ich. Fejge hatte das Brot an ihre großen Brüste gedrückt, es in Scheiben geschnitten und dann für jedes Kind im Kindergarten eine Scheibe mit Butter und Marmelade geschmiert. Ich hatte immer gefürchtet, Fejge könnte sich mit dem Messer in den Busen schneiden.
    »Ich liebe das Brot hier, dicht am Herzen«, hatte sie gesagt und die geballten Fäuste zwischen ihre großen Brüste gedrückt.
    »Sie hatte wirklich ein kolossales Schneidebrett«, platzte ich heraus.
    Chajale fing an zu lachen. Auch auf Dorits Gesicht zeigte sich
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