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Der Saubere Tod

Titel: Der Saubere Tod
Autoren: Michael Kleeberg
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I
    Johann Ritter kam nach Berlin, um binnen eines Jahres Geld, eine große Altbauwohnung und einen Sportwagen zu besitzen. Er meinte, daß es nur zwei Wege dorthin gab. Man konnte Drogen verkaufen oder sich selbst. Er war zu beidem bereit. Zunächst wollte er Robert besuchen, den er von zu Hause kannte. Robert hatte einen Sommer lang in der Autofabrik gearbeitet, um bei den Arbeitern zu agitieren. Abends trainierte er Aikido und diskutierte danach mit Freunden, die auf einem Hof einige Kilometer vor der Stadt wohnten. Dort war Johann ihm begegnet. Robert hatte von Berlin erzählt, wo er eine radikale Zeitschrift herausgab und einer der Köpfe der Besetzerbewegung war. Er lebte irgendwo in Berlin-Kreuzberg, und Johann dachte, daß Robert sich in den Milieus, in die er wollte, auskennen müsse.
    Robert war ihm fremd gewesen mit all dem Engagement, von dem er sprach, mit all den großen Worten, mit denen er etwas bewegen wollte, und mit seinem unbedingten Glauben, daß sich in Berlin über das Schreiben und den Häuserkampf etwas bewegen ließe. Johann hatte immer ein wenig abseits gesessen und nur mit einem Ohr zugehört.
    Er hatte nicht verstanden, wie jemand versuchen konnte, die Arbeiter in der Fabrik zu agitieren. Andererseits schienen die Tage Roberts ausgefüllt zu sein, und es machte ihm offenbar nichts aus, seinen Urlaub so zu verschwenden, falls es sein Urlaub war. Seine Augen glommen, aber vielleicht glotzten sie auch nur, Johann war mißtrauisch. Roberts Erzählungenvon Berlin klangen anders als das, was sonst darüber zu lesen oder zu hören war. Jetzt, da Johann allein war, jetzt nachdem Greta fort war, dachte er, als er sich an Robert erinnerte, daß das Glimmen in seinen Augen und das ganze Agitieren, Arbeiten, Träumen und Kämpfen den ganzen Tag vielleicht damit zu tun hatten, daß Robert niemand fürs Bett besaß. Aber jetzt, da Greta fort war, mußte er nicht mehr hierbleiben, er konnte gar nicht mehr hierbleiben. Er hatte nachgedacht, wohin er gehen sollte, als ihm Berlin und Robert wieder einfielen.
    Er erinnerte sich seines schweinsköpfigen Vaters. Er war ins Badezimmer getreten, der Vater hatte vergessen, es zu verschließen, und stand nackt vor ihm. Er hatte ihn lange nicht nackt gesehen. Er war ein alter Mann geworden. Er war immer dick gewesen, aber früher fest, wenn man dagegendrückte. Jetzt sah Johann einen runzligen Altmännerarsch, rot vom langen Sitzen auf der Klobrille, den Bauch hielten keine Muskeln mehr über den Leisten, die Schultern und Oberarme waren abgesackt und mager, die Schenkel dünn, die Waden blau vor Krampfadern. Er erschrak, als er Johann sah, und bedeckte seine Blöße mit der Hand. Johann ging wieder hinaus. Er hatte nie Angst vor seinem Vater gehabt, nur Mitleid. Dann wich das Mitleid dem Ekel, dann der Ekel der Gleichgültigkeit. Als er auszog, um bei Greta zu wohnen, gab es keinen Kampf.
    Es war möglich, an Greta zu denken, an das halbe Jahr mit ihr. Woran man nicht denken konnte, weil es peinlich war, war das gelbe Büchlein und wie sie einander genannt hatten. Aber an ihre Wohnung konnte er denken, an ihre kleine Tochter Isabel und daß er sich samstags morgens dort nicht blicken lassen durfte, wenn Isabel fürs Wochenende von ihrem Vater geholt wurde. Ans Kino konnte er denken und an die Fahrten, die sie, als es warm war, sonntags mittags in den Schönbuch unternommen hatten. Es schien jetzt,als seien all die erotischen Einfälle dieser Art ihre Initiative gewesen, und er dachte an ihr Piratenlächeln voller Vorfreude. Er konnte auch an ihre Hände denken, die groß waren, ihre Finger waren länger als seine, und ihre Hände waren warm und trocken. Manchmal spät im Bett, wenn er auf dem Bauch lag, kurz vor dem Einschlafen, blickte er hoch – sie sah ihn an und lächelte auf ihn herab. Auf ihrem Hals verliefen zwei Längsfalten, die ihn erschreckten.
    Dann hatte sie ihm einmal nicht geöffnet, und er schloß auf, und sie saß im Arbeitszimmer an ihrem Tisch und drehte sich um, als sie seine Schritte hörte, und sah ihn an, und es war vorbei, wußte er in diesem Moment. Ihr Mann hatte eine Klage eingereicht, um seine Tochter zu bekommen, die bei der Mutter mit ihrem Lebenswandel nicht mehr gut aufgehoben sei. Greta bat Johann zu verstehen, und er verstand.
    Während der Zeit verlor er seine Bekannten ein wenig aus den Augen, die alle begannen zu arbeiten oder zu studieren. Was ihm wirklich fehlte, war Geld, um sich die Dinge zu kaufen, aber die Erinnerung an
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