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Das Schweigen meiner Mutter

Das Schweigen meiner Mutter

Titel: Das Schweigen meiner Mutter
Autoren: Lizzie Doron
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hin. Sie hatte genug von mir, genug von Dorit, genug von der Hitze und spritzte sich Wasser aus dem Schlauch der Berieselungsanlage ins Gesicht.
    Das Wasser tropfte auf ihre weiße Bluse und ließ ihren großen Büstenhalter sichtbar werden, der ihre schweren Brüste beherbergte.
    »Hat sie ihren Vater gesucht?«, fragte Fejge Dorit leise, und Dorit bejahte ihre Frage mit einem stummen Nicken.
    Ich wollte Dorit wieder zwicken, aber Fejge packte mich schon am Arm, zerrte mich zurück in den Kindergarten und sperrte mich in der Toilette ein.
    »Aber warum nur ich? Was habe ich denn getan?«, schrie ich verzweifelt. Ich hörte, wie Fejge den anderen Kindern erklärte, es sei verboten, aus dem Kindergarten wegzulaufen, und meine Bestrafung solle ihnen ein warnendes Beispiel sein.
    »Mir stinkt’s!«, brüllte ich aus meiner nach Urin riechenden Einzelzelle. »Hoffentlich stirbst du in Hitlers Grab!« Ich trat gegen die Tür.
    Gegen Mittag kam Itta in den Kindergarten, Dorits Mutter, die Schwester von Fejge.
    »Du bist
zedrejt
«, schrie sie Fejge an und versuchte, mir die Tür aufzumachen, »verrückt bist du!« Sie rüttelte an der Klinke und am Schlüssel, aber die Tür erbebte nur.
    »Hier ist nicht Majdanek!«, hörte ich sie Fejge anbrüllen. »Was ist das, du hast sie eingeschlossen? Nun, dir traue ich alles zu!«
    »Soso«, antwortete Fejge, »ich bin schlecht, und du, was bist du? Du bist eine Gerechte, was?« Und auf Jiddisch spuckte sie aus:
»Ich ken nischt fargessn   …«
    Ich saß auf dem Toilettendeckel und heulte. Mir war klar, dass sie mich schon vergessen hatten, ich war sicher, ich müsste bis in alle Ewigkeit hier bleiben.
    Plötzlich wurde es ganz still im Kindergarten. Sogar Fejge und Itta hörten auf, einander anzuschreien. Ich begriff, dass meine Mutter gekommen war.
    Was würde jetzt passieren? Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder noch mehr fürchten sollte.
    Ich legte das Ohr an die Toilettentür. Meine Mutter verlangte von Wladek, Fejges Mann, er solle die beiden Väter von Chajale holen, die Radiotechniker unseres Viertels.
    »Sie werden die Tür aufbrechen und bei dieser Gelegenheit können sie deiner Frau und ihrer Schwester ein Gehirn einsetzen«, sagte meine Mutter zu ihm, und zu Fejge und Itta sagte sie: »Jetzt könnt ihr weiterstreiten!«
    Jona und Jissachar, Chajales Väter, vollbrachten ein Wunder mit dem Schraubenschlüssel und befreiten mich aus der Toilette.
    In dem Moment, als die Tür endlich aufgebrochen war, sprang ich mit einem Satz hinaus. Ich sah Chajale, die ihre Väter umarmte, und Dorit, die sich zwischen Fejge und ihrer Mutter versteckte.
    Fejge, blass geworden, trat auf mich zu, bat mich um Verzeihung und versuchte, mich in den Arm zu nehmen. Ich erstickte fast an ihrem Schweißgeruch, durchsetzt mit dem süßlichen Parfüm »Courage«, das in der Wärme zwischen den Hügeln ihrer Brüste sauer geworden war.
    Ich stieß sie weg und schwor, ihr bis in alle Ewigkeit nicht zu verzeihen.
    Meine Mutter wollte gehen. »Ein so dünnes Mädchen hätte man lieber in der Küche einsperren sollen statt im Klo«, sagte sie abschließend zu Fejge.
    Nur Fejge und ich lachten nicht.
    Ich ließ meine Wut an Dorit aus. »Ab jetzt bin ich nur noch Chajales Freundin!«
    »Was habe ich denn getan?«, stammelte sie.
    »Du hast mich zur Krankenkassenambulanz geschleppt und mein Vater hat zu Hause auf mich gewartet«, zischte ich.
    Meine Mutter beendete die Diskussion. »Ihr Vater ist weggefahren, weit weg.«
     
    Auf dem Heimweg schlugen die Absätze meiner Mutter heftig auf die Gehsteigplatten.
    »Warum bist du weggelaufen?«, fragte sie mit eisigem Blick.
    »Ich hasse Rhythmik«, antwortete ich.
    Meine Mutter lief mit großen Schritten, sie lief und schwieg. Ich rannte hinter ihr her. Mein Vater ist wieder in Amerika, tröstete ich mich.
     
    Als wir zu Hause ankamen, ging meine Mutter in die Küche und hackte Gemüse für die Suppe, zerschnitt das Huhn, zerquetschte die Kartoffeln zu Püree. Dabei waren ihre Lippen die ganze Zeit fest zusammengepresst. Sie würdigte mich keinesBlicks, noch nicht einmal, als ich eine Blumenvase auf den Boden warf, und auch nicht, als ich mit Pastellkreiden die Wand bekritzelte.
     
    Gegen Abend kam Itta, um sich zu erkundigen, wie es mir gehe. Sie betrat mein Zimmer mit einer Tafel Schokolade, einem gekünstelten Lächeln und einem mitleidigen Blick, dann ging sie in die Küche, um mit meiner Mutter zu schwatzen.
    »Ach was,
nebbech «
, hörte ich
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