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Das Reich der Traeume

Das Reich der Traeume

Titel: Das Reich der Traeume
Autoren: Santiago García-Clairac
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Bäumen gemacht, und auch wenn manche Leute das schlecht finden, fällt mir keine bessere Verwendung für Holz ein, als es zu Büchern zu verarbeiten.
    Wie immer treffe ich auf meinem Weg zur Schule Hinkebein, den Bettler, der jeden Tag stundenlang an der Ecke sitzt und um Almosen bittet. Er ist der einzige Freund, den ich außerhalb der Stiftung habe.
    Â»Hallo, Hinkebein«, begrüße ich ihn.
    Â»Hallo, Arturo, alles klar?«
    Â»Ja, ich muss zur Schule. Wie geht’s dir? Hier, ich hab dir eine Apfelsine mitgebracht.«
    Â»Danke, Kleiner. Du hast ein gutes Herz und eines Tages wirst du dafür belohnt werden. Großzügige Menschen wie du haben einen Platz im Himmel sicher!«
    Â»Red keinen Unsinn«, antworte ich. »Sag mir lieber, wie es dir heute geht.«
    Â»In letzter Zeit schlafe ich schlecht. Das ist der Wetterumschwung, er macht meinem Bein zu schaffen, dem verdammten Bein … Es tut weh«, sagt er und fährt sich mit der Hand über den Stumpf. »Die Teufel verschwören sich gegen mich.«
    Â»Jetzt redest du schon wieder Unsinn. Ein Bein, das man nicht hat, kann einem nicht wehtun«, sage ich. »Das ist unmöglich.«
    Â»Nicht für alles, was auf dieser Welt passiert, gibt es eine Erklärung«, entgegnet Hinkebein. »Wenn ich sage, es tut mir weh, dann tut es mir weh, klar?«
    Â»Natürlich, natürlich.« Mein Blick fällt auf die Weinflasche, die aus seinem Mantel hervorlugt. »Ich glaube, heute wird ein schöner Tag«, sage ich.
    Â»Für mich wird’s kein schöner Tag, da hab ich keine Hoffnung. Die Leute werden immer knickeriger, denen sitzt das Geld nicht mehr so locker wie früher. Vielleicht weil sie kein Mitleid mehr haben mit so armen Krüppeln wie mir.«
    Â»Komm schon, hör auf zu jammern.«
    Â»Hoffentlich kommst du niemals in so eine Lage, mein Junge. Das wünsche ich dir wirklich nicht. Es gibt nichts Schlimmeres auf der Welt, als auf dem Bürgersteig zu liegen und Leute anzubetteln, die über dich hinwegsehen.«
    Während er die Apfelsine schält, murmelt er etwas, das ich nicht verstehe.
    Â»Tu nicht so geheimnisvoll, Hinkebein«, sage ich.
    Â»Im Viertel geht es drunter und drüber«, flüstert er. »Ziemlich drunter und drüber.«
    Â»Drunter und drüber? Was soll das heißen?«
    Â»Ãœberfälle, Prügeleien … Randale. Wenn du wüsstest …«
    Â»Was soll ich denn wissen? Ist dir was passiert?«
    Â»Gestern Abend … Ein paar Typen haben versucht, mich zu überfallen … mir meine Sachen zu klauen.«
    Â»Bist du sicher, dass sie dich beklauen wollten?«
    Â»Alles, was ich sagen will, ist: Nimm dich in Acht! In letzter Zeit seh ich hier merkwürdige Leute. Böse Geister, die aus den Kloaken hervorgekrochen kommen. Sie fallen über uns her. Seit Tagen treiben sie sich hier rum.«
    Â»Geister? Auch in der Nähe der Stiftung?«
    Â»Gerade da. Ich rate dir, Arturo, pass auf dich auf, pass gut auf dich auf …«
    Â»Danke, du bist ein echter Freund … Auch wenn du manchmal ein bisschen verrückt bist.«
    Â»Verrückt? Ich? Wenn du mich besser kennen würdest, würdest du so was nicht sagen!«
    Ich gehe weiter, um mir sein Gejammer nicht länger anhören zu müssen. Ich weiß, dass er sauer wird, wenn man ihn als verrückt bezeichnet. Obwohl er im Grunde gerne so tut, als wäre er’s.
    * * *
    Vor der Schule begegne ich ein paar Mitschülern, die wie ich zu spät dran sind. Aber sie grüßen mich nicht; das tun sie nie.
    Obwohl das jetzt schon seit einigen Jahren so geht, kann ich mich einfach nicht damit abfinden. Es macht mich traurig, wenn sie mich wie Luft behandeln. Ich weiß zwar, dass sie genau das beabsichtigen, aber ich kann nichts dagegen tun.
    Wie oft schon wollte ich meinem Vater davon erzählen, aber er hat genug Probleme, mit denen er sich herumschlagen muss. Da möchte ich ihn nicht noch mehr belasten. Mit dieser Sache muss ich alleine fertig werden.
    Mercurio, der Hausmeister der Schule, begrüßt mich wie immer mit einem aufmunternden Lächeln: »Hallo, Arturo, schön dich zu sehen. Gut siehst du aus.«
    Â»Guten Morgen, Mercurio.«
    Â»Wie geht’s deinem Vater?«
    Â»Oh, gut, sehr gut! Danke.«
    Â»Dann grüß ihn von mir. Und jetzt beeil dich, du bist schon spät dran.«
    Ich winke ihm zum Abschied zu
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