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Der Palast

Der Palast

Titel: Der Palast
Autoren: Rowland
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Prolog
    A
    uf seiner Fahrt ins Verderben glitt das Boot sanft über das dunkle Wasser. An den Seiten des schmalen Rumpfes waren Stangen befestigt, die einen Baldachin aus roter Seide trugen; an einem Haken am Heck hing eine Laterne, die weißes Licht verströmte. Unter dem Baldachin saß ein kräftiger Mann an den Rudern. Er trug Sommerkleidung aus Baumwolle und die zwei Schwerter eines Samurai. Wenngleich der Haarknoten auf seinem Scheitel grau und sein Gesicht vom Alter zerfurcht war, hatte sein muskulöser Körper sich die Spannkraft der Jugend erhalten, denn seine Bewegungen waren kraftvoll und geschmeidig. Ihm gegenüber, auf einem Stapel Kissen, der die Härte der Bootsplanken milderte, saß zurückgelehnt eine Frau; einen Arm über den Bootsrand ausgestreckt, ließ sie die Finger durchs Wasser gleiten. Die Laterne erhellte ihr schwarzes Haar, das sie offen trug, und ihre makellose Haut, so rein und strahlend weiß wie das Licht des Mondes. Ein nachtblauer Kimono, mit pastellfarbenen Anemonen bedruckt, betonte ihre schlanke Gestalt. Auf ihrem hübschen Gesicht lag ein verträumter Ausdruck.
    »Was für ein wunderschöner Abend«, sagte sie leise.
    Der Biwa-See, im Osten der alten kaiserlichen Hauptstadt Miyako gelegen, umgab das Boot mit seiner Weite; die Wasseroberfläche schimmerte wie ein riesiger schwarzer Spiegel. Am nahen Ufer bildeten die Lichter der Fischerdörfer mit ihren Läden, Gasthäusern und Anlegestellen einen funkelnden Halbmond, während Dunkelheit und Entfernung die äußeren Grenzen des Sees vor Blicken verbargen.
    Doch der Samurai und die Frau waren nicht allein auf dem Biwa-See. Noch viele weitere Vergnügungsboote trieben auf der Wasseroberfläche und sprenkelten sie mit dem unruhigen Licht ihrer Laternen. Feuerwerksraketen jagten zischend zum Himmel und explodierten in grünen, roten und weißen Funkenkaskaden, die sich auf dem Wasser spiegelten, begleitet von den bewundernden Rufen der Menschen an Bord der Boote. Eine sanfte Brise sorgte für angenehme Kühle an diesem schwülen Sommerabend und trug den Geruch des Schwarzpulvers der Feuerwerksraketen über den See. Doch der Samurai konnte der malerischen Szenerie nichts abgewinnen. Stattdessen quälten ihn Trauer und Schmerz, als er nun seine Gemahlin betrachtete.
    »Du bist viel schöner als dieser Abend«, sagte er.
    Seit sie verheiratet waren, hatte der Samurai keinen Augenblick daran gezweifelt, dass die Schönheit und Liebe seiner Frau ihm allein gehörten, trotz der zwanzig Jahre Altersunterschied. Doch vor kurzem hatte er die schmerzliche Wahrheit erfahren: Seine Gemahlin betrog ihn. Für den Samurai war eine Welt zusammengebrochen.
    Als sie ihn nun anlächelte, glaubte er beinahe den Schatten des anderen Mannes zu sehen, der einen Keil zwischen sie trieb, den Raum zwischen ihnen verdüsterte, die Luft zwischen ihnen verpestete. Heiße Wut erfasste den Samurai.
    »Warum siehst du mich so seltsam an?«, fragte seine Gemahlin. »Stimmt etwas nicht?«
    »Im Gegenteil«, erwiderte der Samurai. Heute Abend würde er ihr heimzahlen, was sie ihm angetan hatte. Er ruderte schneller, fort von den anderen Booten und den Lichtern am Ufer.
    Ein ängstlicher Ausdruck erschien auf dem Gesicht der Frau. »Liebster«, sagte sie und zog die Hand aus dem Wasser, »wir kommen zu weit vom Ufer weg. Sollten wir nicht zurückfahren?«
    Der Samurai ließ die Ruder sinken. Lautlos trieb das Boot dahin, während am Himmel weitere Feuerwerksraketen explodierten und den See mit buntem Licht übergossen. Ihr Krachen hallte über die dunkle Oberfläche, doch die Rufe der Zuschauer klangen nun gedämpfter, und die Laternen an den Booten waren nur noch winzige Lichtpunkte.
    »Wir fahren nicht mehr zurück«, sagte der Samurai.
    Seine Gemahlin setzte sich auf und blickte ihn verwirrt an.
    »Ich weiß Bescheid«, sagte der Samurai leise.
    »Wovon redest du?« Doch die plötzliche Furcht in ihren Augen zeigte, dass sie die Antwort kannte.
    »Ich weiß von dir und ihm.« Die Stimme des Samurai war plötzlich rau vor Schmerz und Zorn.
    »Es ist nichts zwischen uns! Es ist nicht so, wie du glaubst!«, stieß die Frau hervor, verzweifelt bemüht, ihren Gemahl von ihrer Unschuld zu überzeugen. »Ich habe nur mit ihm geredet, weil er dein Freund ist!«
    Doch der andere Mann war dem Samurai mehr als ein Freund gewesen, und dieser doppelte Verrat hatte seinen Stolz umso tiefer verletzt. Doch sein Zorn richtete sich vor allem gegen seine Gemahlin … die unwiderstehliche
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