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Das Reich der Traeume

Das Reich der Traeume

Titel: Das Reich der Traeume
Autoren: Santiago García-Clairac
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und betrete das Gebäude. Gerade als der Lehrer die Klassentür schließen will, komme ich angehetzt.
    Â»Du bist immer der Letzte, Arturo«, sagt er anstelle einer Begrüßung.
    Â»Ja, Señor, entschuldigen Sie.«
    Â»Los, komm rein und setz dich auf deinen Platz, wir wollen anfangen.«
    Normalerweise teilen sich immer zwei Schüler eine Bank. Ich bin der Einzige in der Klasse, der alleine sitzt. Niemand will den Platz neben mir haben.
    Kaum habe ich mich hingesetzt, geht die Tür auf, und der Schuldirektor stürmt herein. Alle schauen erschrocken auf, denn es ist nicht üblich, dass er in eine Klasse kommt, ohne seinen Besuch vorher anzukündigen.
    Â»Guten Morgen!«, ruft er gut gelaunt.
    Wir grüßen ihn im Chor zurück, dann wird es still. Gespannt warten wir auf das, was er uns zu sagen hat.
    Â»Ich habe gute Nachrichten für euch«, beginnt er. Wir lauschen ihm aufmerksam. »Euer Spanischlehrer, Señor Miralles, hat bereits seit Langem den Wunsch, in seine Heimatstadt zurückzugehen. Er hat nur noch darauf gewartet, dass wir einen Nachfolger für ihn finden. Und das haben wir jetzt.«
    Allgemeines Gemurmel.
    Na toll! Señor Miralles verlässt uns! Für mich ist das alles andere als eine gute Nachricht. Außer Mercurio ist er der Einzige in der Schule, der nett zu mir ist.
    Â»Am nächsten Montag werdet ihr eure neue Lehrerin kennenlernen. Ich möchte, dass ihr ihr einen herzlichen Empfang bereitet. Und ich hoffe, dass ihr Señor Miralles für seine Mühe danken werdet, die er sich im vergangenen Monat mit euch gemacht hat. Habt ihr mich verstanden?«
    Señor Miralles applaudiert den Worten des Direktors und auch wir fangen an zu klatschen.
    Â»Gut, also dann, bis Montag«, verabschiedet sich der Direktor noch, bevor er das Klassenzimmer verlässt.
    Alle sind erleichtert, wie immer, wenn sich herausstellt, dass der Direktor nicht gekommen ist, um jemanden zu bestrafen oder irgendwelche Hiobsbotschaften zu verkünden.
    Señor Miralles stellt sich vor uns hin und sagt: »Sind das nicht wunderbare Neuigkeiten für uns alle?«
    Wieder allgemeines Gemurmel. Señor Miralles wartet ein paar Sekunden, dann fährt er fort: »Und jetzt wollen wir den Stoff von gestern wiederholen. Wir waren bei den romanischen Sprachen stehen geblieben. Mal sehen … Wer möchte uns erklären, was die romanischen Sprachen sind?«
    Alle sehen ihn stumm an.
    Ich weiß die Antwort, will mich aber eigentlich nicht melden. Damit würde ich nur riskieren, von meinen Mitschülern noch mehr angefeindet zu werden als sowieso schon. Mit den Jahren habe ich gelernt, dass es besser für mich ist, den Mund zu halten. Heute aber fühle ich mich mutig … und hebe die Hand.
    Â»Ich weiß es!«, melde ich mich mit lauter Stimme.
    Â»Bist du sicher?«, fragt der Lehrer, der ahnt, welche Folgen das für mich haben wird.
    Â»Ja, Señor.«
    Er nickt mir aufmunternd zu. Die gesamte Klasse starrt mich ungläubig an. Aber diesmal lasse ich mich nicht einschüchtern. Im Gegenteil, ich stehe auf und gehe entschlossen an die Tafel. Ich nehme ein Stück Kreide in die Hand und zeichne die Umrisse Europas.
    Â»Die romanischen Sprachen stammen vom Lateinischen ab. Sie werden in einigen europäischen Ländern gesprochen, wie zum Beispiel in Spanien, Frankreich, Portugal, Italien … Genau genommen sind sie als Folge des Zerfalls des Römischen Reiches entstanden. Im Mittelalter passte das einfache Volk der jeweiligen Länder die lateinische Sprache ihrer natürlichen Umgebung an und entwickelte so seine eigene Sprache.«
    Ich zeichne ein paar Grafiken an die Tafel und füge einige zusätzliche Erklärungen hinzu.
    Â»Man kann also sagen, dass sich das Lateinische in mehrere Sprachen aufgespalten hat, die lateinische oder romanische Sprachen genannt werden.«
    Â»Richtig«, sagt der Lehrer. »Sehr gut.«
    Um seine Worte zu unterstreichen, fängt er an, mir zu applaudieren, und erwartet, dass die anderen Schüler dasselbe tun. Aber er irrt sich.
    In der Klasse herrscht eisiges Schweigen.
    Da meldet sich plötzlich Horacio.
    Â»Wenn Arturo uns damit beweisen will, dass wir anderen dumm sind, kann ich nur sagen: Er täuscht sich«, erklärt er und steht auf. »Jeder von uns wusste die Antwort auf Ihre Frage. Wir haben nur nicht das Bedürfnis, uns hervorzutun und die anderen
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