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Ultimo

Ultimo

Titel: Ultimo
Autoren: Hans-Peter Vertacnik
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    „Unser Leben besteht, wie die aus dem Gegensätzlichen gefügte Harmonie der Welt, aus ungleichen Tönen, schönen und rauen, hohen und tiefen, sanften und schweren. Was wäre der Musiker, der nur die einen liebte? Er muss mit allen spielen und alle mischen, so wie wir das Gute und das Üble, das beides unserem Leben wesenseigen innewohnt.“
    ( Michelde Montaigne, Über die Harmonie, Essais, Buch III)
    ***
    Ein laue Oktobernacht.
    Hier, abseits der mondänen Festspielstadt Salzburg, ist es ruhig und die Luft ist rein und klar wie die Seele eines Kindes.
    Das Anwesen steht auf einer sanft abfallenden Landzunge zwischen der verkehrsarmen Regionalstraße, einem breiten Laubwaldgürtel, etwas Buschland und dem See. Landseitig ist es durch einen zwei Meter hohen Maschendrahtzaun geschützt, gleich nach dem Zaun ist das Gelände nur noch mit niedrig geschnittenem Gras bewachsen und bei Tageslicht gut zu überblicken.
    Die Straße kommt in einer sanften Rechtskurve von Norden her, und der Asphalt ist erst im Vorjahr neu aufgetragen worden. Die Zufahrt erfolgt durch ein mit Kameras und Alarmanlage gesichertes Tor und mündet in einen befestigten Platz mit niedrigen Garagen und einem hässlichen Geräteschuppen. Dahinter geht es links über einen Kiesweg zum nordwestlich gelegenen Bungalow des Verwalters.
    Das Haupthaus mit dem Schwimmbecken an der dem See abgewandten Seite liegt ein gutes Stück weiter südlich vomSee. Es ist niedrig, hat einen quadratischen Grundriss, einen hüfthohen Sockel aus behauenem Granit und darüber weiß gekalktes, feinkörniges Mauerwerk. In der großen Wohnhalle, der Küche, dem Schlafzimmer und den vier Fremdenzimmern ist es im Sommer angenehm kühl, und tagsüber erinnert einen der Blick auf den See an manche Gegenden Südtirols.
    Der Badeplatz neben dem Anlegesteg ist etwa 20 Meter breit, gegen Norden zu ein wenig steinig, zur Seeseite hin aber doch sandig.Bei Tageslichtkannman diesen eigenartig weißen Sand auch noch im Wasser sehen, das dann an dieser Stelle grün ist und glasklar. Das Ufer ist seicht und der Grund des Sees fällt eine Weile lang nicht besonders steil ab. Erst nach 50Metern wirddas Wasser plötzlich sehr blau und der See tief.
    Jetzt glänzen die Fluten pechschwarz. Der abnehmende Mond hat sich hinter die Wolken verzogen, und der Wind bläst landeinwärts. Zwar taucht der auf einem Garagendach montierte Scheinwerfer das massive Eingangstor und ein gutes Stück Straße noch in gleißendes Licht, aber dafür verliert sich der Rest des Geländes in völliger Finsternis.
    Der Angriff erfolgt weit nordöstlich aus einem halb verdorrten Ginsterbusch heraus, mit einer über einen Aluminiumpfeiler geworfenen Strickleiter über den Zaun, und die schwarz gekleidete, maskierte Gestalt mit dem schwarzen Alpinrucksack auf demRücken brauchtkeine Minute, um die Absperrung zu überwinden. Die Annäherung an den Schuppen hingegen erfolgt langsam, mit großer Vorsicht und unter Berücksichtigung der Windrichtung. Der schwarze Schäferrüde hat seinen Schlafplatz auf der dem Wasser zugewandten Seite und liegt zusammengerollt unter dem Fenster. Immerhin erwacht er aus seinem Schlummer und knurrt sogar, bleibt aber sonst ohne jeden Argwohn. Die ihm durch die offene Eingangstür zugeworfene Knackwurst frisst er still, mit der bei solchen Tieren üblichen Gier. Keine zwei Minuten später ist der Köter tot.
    Ein Käuzchen schreit. Vom See her stinkt es nach nassem Holz und Brackwasser. Sicherheitshalber wartetdie dunkle Gestalt noch eine Weile, bevor sie den Schuppen betritt, ihren Rucksack abstellt, den Kadaver aufnimmt, ihn über den Rasen zum Swimmingpool schleppt und an der breiten Römertreppe vorsichtig ins Wasser gleiten lässt. Anschließend huschtsie leichtfüßig zurück, holt den Rucksack und trägt ihn bis dicht ans Haupthaus. Jeder der beiden Benzinkanister im Rucksack fasst fünf Liter. Das Schlafzimmerfenster ist gekippt, und der Stutzen des Behälters passt exakt in den breiten Spalt, durch den der Raum belüftet wird. Das leise Plätschern, mit dem der Kraftstoff ins Zimmer rinnt, hat etwas Leichtes, Spielerisches. Es klingt, als fülle man ein Wasserglas.
    „Hannes?“, meldet sich zaghaft eine Mädchenstimme aus dem dunklen Raum. Sekunden später hustet jemand, und irgendetwas raschelt.
    Das Leeren des zweiten Kanisters gleicht dem Geprassel heftigen Regens. Wieder flüstert das blutjunge Ding den Namen des Mannes im Bett neben ihr.
    Der antwortet mit einem
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