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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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gleichsetzte. Er war sicher von Haß auf diese Gesellschaft erfüllt und muß als Ausgestoßener ein furchtbares Leben geführt haben. Anders als der Perser können wir Erik in einem Märchen, in dem die Sängerin Christine die Schöne ist, als das Ungeheuer, nicht aber als böse an sich sehen.
    Der Perser stellt ihn jedoch als Sadisten dar: als einen Serienmörder, der Menschen zum Vergnügen erwürgt; als jemanden, der Spaß daran hat, Folterkammern zu entwerfen und durch ein Schlüsselloch die Mädchen zu beobachten, die darin unter Qualen ihr Leben aushauchen; als einen Mann, der jahrelang im Dienst der ebenso sadistischen Kaiserin von Persien gestanden und in ihrem Auftrag immer widerwärtigere Foltermethoden erfunden hat.
    Nach Darstellung des Persers wurden der junge Adlige und er, als sie ins unterste Kellergeschoß hinabstiegen, um die entführte Christine zu retten, selbst gefangengenommen, in eine Folterkammer gesperrt und fast bei lebendigem Leib geröstet. Aber dann entkamen sie wie durch ein Wunder, verloren das Bewußtsein und wachten - genau wie Christine - unverletzt wieder auf. Das ist nicht nachvollziehbar. Trotzdem gesteht Leroux gegen Ende des Buchs, daß er gewisse Sympathien für das Phantom hegt - eine völlig absurde Empfindung, wenn man bedenkt, daß er in bezug auf sämtliche anderen Details den Lügen des Persers gründlich auf den Leim gegangen zu sein scheint.

    Glücklicherweise enthält die Erzählung des Persers einen Fehler, der so ins Auge sticht, daß er das Ganze unglaubwürdig macht. Er behauptet, Erik habe ein langes, erfülltes Leben geführt, bevor er sich in die Keller unter der Oper flüchtete. Nach Darstellung des Persers hat dieser grotesk entstellte Mann Reisen durch West-, Mittel- und Osteuropa, weit nach Rußland hinein und bis zum Persischen Golf hinunter gemacht. Nach seiner Rückkehr nach Paris soll er unter Garniers Leitung als Unternehmer am Bau der Pariser Oper beteiligt gewesen sein. Diese Behauptung ist unsinnig.
    Wäre das Leben des Mannes tatsächlich so verlaufen, hätte er sich vermutlich mit seiner Verunstaltung abgefunden. Um als Unternehmer am Bau der Oper mitwirken zu können, hätte er geschäftliche Besprechungen führen, mit Architekten, Subunternehmern und Arbeitern verhandeln müssen. Warum hätte er dann aufgrund seiner Menschenscheu beschließen sollen, ins unterirdische Exil zu flüchten? Mit seinem Scharfsinn und seiner Intelligenz hätte ein Mann seines Kalibers als Unternehmer ein hübsches Vermögen angehäuft und sich damit auf einem von Mauern umgebenen Landsitz zur Ruhe gesetzt, um seine Tage in selbstgewählter Isolation zu beschließen - vielleicht von einem seiner Häßlichkeit gegenüber immunen Faktotum betreut.
    Das einzig Logische, was ein moderner Analytiker tun kann und Andrew Lloyd Webber in seinem Musical bereits vorgemacht hat, ist, die Schilderungen des Persers völlig unberücksichtigt zu lassen - insbesondere
deshalb, weil der Perser und Leroux behaupten, das Phantom sei schon bald nach den beschriebenen Ereignissen gestorben. Der einzig vernünftige Weg beginnt mit einer Rückkehr zu den Dingen, die wir tatsächlich wissen oder aufgrund logischer Schlußfolgerungen annehmen können. Und dazu gehört folgendes:
    - Daß irgendwann in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein schrecklich entstellter Mensch vor der Gesellschaft, von der er sich gehaßt und verspottet fühlte, floh und in dem Labyrinth aus Kellerund Lagerräumen unter der Pariser Oper Zuflucht suchte. Diese Annahme ist keineswegs abwegig,denn schließlich haben Gefangene immer wieder viele Jahre in unterirdischen Verliesen überlebt. Die unterirdischen Geschosse des Opernhauses gleichen einer kleinen Stadt, die alles bietet, was der Mensch zum Leben braucht.
    - Daß im Lauf der Jahre unter leicht zu beeindruckenden und leichtgläubigen Angestellten Gerüchte kursierten, zahlreiche Dinge verschwänden spurlos, und gelegentlich sei eine schemenhafte Gestalt gesichtet worden, die sich in die Dunkelheit geflüchtet hätte. Auch das ist keineswegs abwegig. Um alle irgendwie unheimlichen Gebäude ranken sich solche Gerüchte.
    - Daß sich im Jahr 1893 etwas Seltsames ereignete, durch das die Herrschaft des Phantoms über die Finsternis zu Ende ging. Während es, wie schon so oft, in einer freien Loge eine Opernvorstellung verfolgte, fiel sein Blick auf eine wunderschöne junge Tänzerin, in
die es sich unsterblich verliebte. Als Autodidakt, der über Jahre
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