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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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erzählt, beschloß das Phantom aus Zorn über seine Zurückweisung durch Christine, die von ihm leidenschaftlich geliebte junge Frau, diese zu entführen. Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, wählte es dafür den Augenblick, in dem sie in einer Vorstellung von Faust auf der Bühne stand. (Im Musical hat Lloyd Webber daraus die von dem Phantom geschriebene Oper Don Juan Triumphant gemacht.) Das Licht ging plötzlich aus, so daß es im gesamten Gebäude stockfinster war, und als es wieder aufflammte, war Christine spurlos verschwunden. Mit neunhundert Gaslampen ist das nicht möglich.
    Gewiß, ein geheimnisvoller Saboteur, der sich im Gebäude auskannte, hätte die Hauptzuleitung schließen können, um diese vielen Lampen von ihrer Gasversorgung abzuschneiden. Aber während der Gasstrom versiegte, wären sie laut spuckend und mit Ploppgeräuschen nacheinander erloschen. Und da die automatische Wiederanzündung noch nicht erfunden war, konnten sie nur von jemandem, der mit einem Anzünder herumging, einzeln wieder in Betrieb genommen werden. Daraus war der bescheidene Beruf des Laternenanzünders entstanden. Die einzige Möglichkeit, mit Hilfe eines Schalters pechschwarze Dunkelheit und im nächsten Augenblick wieder strahlende Helligkeit zu erzeugen, bestand darin, den
Hauptschalter eines vollständig elektrischen Beleuchtungssystems zu betätigen. Dadurch ergibt sich ein wesentlich späterer als der von Leroux erwähnte Zeitpunkt.
    Geirrt hat er sich offensichtlich auch in bezug auf Stellung, Aussehen und Intelligenz Mme. Girys - ein Irrtum, der in Lloyd Webbers Musical korrigiert worden ist. In der Originalfassung des Romans erscheint diese Dame als ziemlich beschränkte Putzfrau. Tatsächlich war sie die Leiterin der Tanztruppe und des Corps de Ballet, unter deren nur scheinbarer Strenge (ohne die ein Corps aus flatterhaften Mädchen nicht zu beherrschen gewesen wäre) sich ein sehr mutiges und mitfühlendes Wesen verbarg.
    Das muß man Leroux nachsehen, denn er verließ sich auf die Erinnerungen seiner Informanten, und sie beschrieben offensichtlich eine andere Frau. Aber jeder Polizeibeamte oder Gerichtsreporter wird bestätigen, daß es Zeugen vor Gericht - ehrlichen und anständigen Leuten - oft schwerfällt, sich über Tatsachen zu einigen und sich präzise an Ereignisse der jüngeren Vergangenheit zu erinnern, von Dingen, die achtzehn Jahre zurückliegen, ganz zu schweigen.
    Weit augenscheinlicher fehlerhaft ist die Szene, in der M. Leroux den Moment schildert, in dem das Phantom gekränkt den Kronleuchter im Zuschauerraum herabstürzen läßt, der eine darunter sitzende einzelne Frau tötet. Daß diese sich als die Frau erweist, die als Nachfolgerin von Mme. Giry, der entlassenen Freundin des Phantoms, eingestellt wurde, ist ein sehr hübscher Kunstgriff des Erzählers. Aber
dann berichtet er weiter, dieser Kronleuchter habe zweihunderttausend Kilogramm gewogen, also zweihundert Tonnen, die ausreichen würden, um die halbe Decke zum Einsturz zu bringen. Der Kronleuchter wog sieben Tonnen; soviel hat er gewogen, als er aufgehängt wurde, er hängt noch immer dort und wiegt noch immer soviel!
    Die eigenwilligste Abweichung, die Leroux sich selbst von den Grundregeln für Recherche und Reportage gestattet, betrifft die gegen Ende seines Romans geschilderte Verführung durch eine geheimnisvolle Gestalt, die nur als »der Perser« vorgestellt wird. Dieser merkwürdige Scharlatan wird in den beiden ersten Dritteln des Buchs nur zweimal kurz und nebenbei erwähnt. Aber nach der Entführung der Sopranistin auf offener Bühne erlaubt Leroux diesem Mann, die Erzählung an sich zu reißen und die Vorfälle im letzten Drittel des Buchs aus seiner Sicht zu schildern. Und diese Geschichte ist alles andere als glaubwürdig!
    Leroux versucht nie, seine Behauptungen zu überprüfen. Obwohl der junge Vicomte Raoul de Chagny angeblich bei allen von dem Perser geschilderten Ereignissen anwesend war, behauptet Leroux, er habe den Vicomte später nicht mehr finden können, um diese Geschichte zu verifizieren. Natürlich hätte er das gekonnt!
    Wir werden niemals erfahren, warum der Perser das Phantom so sehr haßte und seinen Ruf so sehr schädigte. Vor der Erfindung der Figur des Persers empfanden der Schriftsteller Leroux und die meisten
seiner Leser vermutlich menschliches Mitgefühl für das Phantom. Er mußte als grausig entstellter Mensch in einer Gesellschaft leben, die Häßlichkeit allzuoft mit Verderbtheit
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