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Das Phantom von Manhattan - Roman

Titel: Das Phantom von Manhattan - Roman
Autoren: Frederick Forsyth Wulf Bergner
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kostenbewußteren Zeitalter hätte man das Projekt vielleicht an einen besser geeigneten Ort verlegt, aber Haussmann wollte sein Opernhaus genau an dieser Stelle und nirgends sonst haben. Garnier ließ acht riesige Dampfpumpen aufstellen, die monatelang Tag und Nacht in Betrieb waren, um den mit Wasser vollgesogenen Untergrund auszutrocknen. Dann umgab er den gesamten Bauplatz mit zwei gewaltigen Caissonwänden und füllte den Raum zwischen ihnen mit Bitumen aus, um zu verhindern, daß wieder Wasser in die Baustelle sickerte. Auf diesen massiven Fundamenten errichtete Garnier seinen kolossalen Bau.
    Seine Maßnahmen waren nur teilweise erfolgreich. Das Wasser wurde zurückgehalten, bis die Kellergeschosse fertiggestellt waren, kam dann aber langsam wieder zurück und bildete unter dem tiefsten Kellergeschoß einen unterirdischen See.
    Noch heute kann man als Besucher zu dieser Ebene
hinuntersteigen (man braucht dazu eine Sondergenehmigung) und durch Gitter auf den unterirdischen See hinabsehen. Alle zwei Jahre wird der Wasserspiegel so weit abgesenkt, daß Bautechniker mit flachen Kähnen, die gestakt werden, auf dem See herumfahren und die Fundamente auf etwaige Schäden untersuchen können.
    Garniers riesiger Bau erhob sich Kellergeschoß um Kellergeschoß, bis das Geländeniveau wieder erreicht war, und wuchs dann weiter in die Höhe. 1870 wurden die Arbeiten eingestellt, als eine durch den kurzen, aber erbittert geführten Deutsch-Französischen Krieg ausgelöste weitere Revolution Frankreich erschütterte. Napoleon III. wurde abgesetzt und starb später im Exil. Man rief eine neue Republik aus, aber die deutschen Armeen standen vor Paris. Die eingeschlossene französische Hauptstadt hungerte. Die Reichen verspeisten die Elefanten und Giraffen aus dem Zoo, während die Armen Hunde, Katzen und Ratten frikassierten. Paris kapitulierte, und die Arbeiterklasse war über das erlittene Leid so verbittert, daß sie sich gegen die Regierung erhob.
    Die Aufständischen nannten ihr Regime die Kommune und sich selbst Kommunarden, die in der gesamten Stadt hunderttausend Mann und viele Kanonen stationiert hatten. Da die Regierung in Panik geflüchtet war, übernahm die Nationalgarde als Militärjunta die Macht und schlug den Aufstand schließlich nieder. Die Kommune nutzte während ihrer Herrschaft Garniers unvollendeten Bau mit seinem Labyrinth aus Kellern und Lagerräumen, um darin
Waffen, Pulvervorräte und Gefangene unterzubringen. In diesen tief unter der Erde liegenden Gewölben kam es zu gräßlichen Folterungen und Hinrichtungen, und noch viele Jahre später wurden verscharrte Skelette entdeckt. Diese unterirdische Welt und die Idee, in der Finsternis dort unten lebe ein körperlich Entstellter, faszinierten Gaston Leroux vierzig Jahre später und regten seine Phantasie an.
    1872 hatten die Verhältnisse sich wieder normalisiert, und Garnier führte die zuvor eingestellten Bauarbeiten fort. Im Januar 1875, fast auf den Tag genau siebzehn Jahre nach Orsinis Bombenanschlag, wurde das neue Opernhaus, zu dessen Bau sein Attentat den Anstoß gegeben hatte, mit einer Galavorstellung eröffnet.
    Das Gebäude bedeckt eine Grundfläche von elftausend Quadratmetern; vom tiefsten Keller bis zum Dachfirst hat es siebzehn Geschosse, von denen jedoch nur zehn oberirdisch sind. Überraschenderweise ist der Zuschauerraum ziemlich klein und bietet nur 2156 Opernbesuchern Platz, während die Mailänder Scala 3500 und die New Yorker Met 3700 Besucher fassen. Aber hinter der Bühne ist reichlich Platz für Hunderte von geräumigen Künstlergarderoben, Werkstätten, Kantinen, Kostümlagern und Lagerräumen für komplette Kulissen, so daß ganze Bühnenbilder, die bis zu fünfzehn Meter hoch sind und viele Tonnen wiegen, versenkt und unzerlegt bis zu ihrem erneuten Gebrauch gelagert werden können.
    Das Besondere an der Pariser Oper ist, daß sie von Anfang an nicht nur für Opernaufführungen entworfen
wurde. Deshalb ist der Zuschauerraum relativ klein. Einen großen Teil des nicht für Arbeitszwecke benötigten Platzes nehmen Empfangssäle, Salons, imposante Treppen und weitere Flächen ein, die einen prachtvollen Hintergrund für große Staatsereignisse bieten. Die Oper hat noch immer über 2500 Türen, für deren Kontrolle ihre Feuerwehrleute über zwei Stunden brauchen. Zu Garniers Zeiten beschäftigte sie rund tausendfünfhundert Festangestellte (heute sind es etwa tausend) und wurde durch neunhundert Gaslampen beleuchtet, die von
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