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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Autoren: Kai Hensel
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hatte sie töten wollen! Jetzt zog er den Schwanz ein! Sie warf einen Stein, gleich noch einen. Einer verfehlte ihn, der andere traf ihn am Po. Er kletterte schneller, rutschte, er hatte Angst. Der Mann erreichte den Rand der Böschung. Maria wollte ihn schreien hören. Ein Feuerstein! Groß, mit scharfer Kante! Er stand auf der Piste. Er wandte sich um, sie warf. Der Stein traf ihn an der Schulter. Der Mann schrie. Er floh in die Deckung seines Wagens. Sie hörte das Starten des Motors. Einen Moment war sie nicht sicher, ob die Echos täuschten. Nein, sie täuschten nicht. Der Wagen wendete, fuhr zurück zum Plateau. Was wollte er dort? Sie hörte den Motor schwächer, dann gar nicht mehr. Sie hörte nur noch ihren Atem, das Pochen ihres Herzens.
    Sie kletterte und rutschte den Hang hinunter bis zu ihrem Fahrrad. Der Rahmen war gebrochen. Sie rutschte weiter, zog das Rad, dessen Rahmenteile an den Drähten der Bremsen und Gangschaltung hingen, hinter sich her. Sie erreichte einen Trampelpfad.
    Sie legte sich das Vorderteil über die eine, das Hinterteil über die andere Schulter. Sie ging bergab. Immer noch bebte ihr Körper vor Wut. Erst sah sie Schafe. Dann einen Traktor. Schließlich den Traktorfahrer, einen hübschen Jungen im karierten Hemd, der gerade in einen Apfel biss. Sie deutete auf das Handy in seiner Brusttasche und sagte:
    »Parakaló! Police!«

2
    Der Traktorfahrer gab ihr aus einer Feldflasche zu trinken. Er presste Blätter, die er in der Macchia fand, und desinfizierte mit dem Saft ihre Wunden. Sie teilten sich Fladenbrot und gegrillte Hähnchenflügel aus einer Blechdose. Er brachte ihr seinen Vornamen – Rhadámanthus – und die griechischen Zahlen bei: Énas, Díos, Trís, Tésseris … Er verstand kein Englisch. Aber er sang schön. Er machte mit seinem Handy Fotos: von dem zerstörten Mountainbike, dessen gesplitterter Rahmen ihn beeindruckte. Und von Maria, wie sie erschöpft, mit geschlossenen Augen, am Hinterrad des Traktors lehnte.
    Fast eine Stunde mussten sie warten, bis endlich ein blau-weißer Citroën neben dem Traktor hielt. Ein dicker Polizist mit glänzender Glatze stieg aus, hielt Maria seine runde, behaarte Hand hin und sagte:
    »Embiríkos. Inspector police. «
    Er sprach kein Deutsch und kein Englisch. Er verstand, dass Maria aus Jermanía kam und auf KretaUrlaub machte, in einer Ferienanlage in Amoudára. Er blickte auf ihr Mountainbike und sagte:
    »Ts, ts, ts.«
    Der Traktorfahrer dachte, Maria hätte einen Unfall gehabt. Der Polizist dachte es auch. Er lud die Trümmer des Rades in den Kofferraum. Zum Abschied machte er von Maria und Rhadámanthus, Arm in Arm, ein Foto.
    An der nächsten Gabelung wollte er bergab fahren, Richtung Heraklion. Maria zeigte in die Berge. Sie wollte ihm etwas zeigen. Sie rieb sich mit der Handkante den Hals – Mord. Embiríkos runzelte die Stirn und fuhr bergauf.
    Sie verfuhren sich zweimal. Embiríkos schaute missmutig auf seine Armbanduhr; wahrscheinlich hatte er längst Feierabend. Die Sonne stand dunstig über dem Horizont, als Maria endlich die Piste wiederfand und das Plateau. Sie hielten an und stiegen aus. Deutlich waren die Reifenspuren des Fiestas und ihres Mountainbikes zu sehen. Aber die Blutspuren auf dem Schotter waren verschwunden. Der Mann hatte die bespritzten Steine aufgesammelt. An einigen Sträuchern der Macchia sah sie Schnittspuren, niedergetretene Zweige. Die Spur endete hinter einem Stechginster. Hier und da sah sie an einem Blatt einen schwarzroten Fleck. Es konnte Blut sein oder etwas anderes. Man musste es untersuchen. Embiríkos hatte keine Lust, es zu untersuchen. Er stand neben seinem Citroën, telefonierte und rauchte. Er hängte ein und deutete auf seine Armbanduhr.
    Am Himmel blitzten erste Sterne, als der Citroën vor dem Poseidon Palace hielt. Bunte Lichter hingen in den Palmen und Bougainvillea, von der Meerseite tönten elektrisch verstärkte Fiedeln, Gitarren und Tambourine. Sirtáki-Abend. Inspektor Embiríkos lud die zwei Hälften ihres Fahrrades aus dem Kofferraum. Maria gab ihm die Hand und sagte:
    »Efcharistó.« Danke.
    Embiríkos grummelte etwas, das »Gute Nacht« heißen mochte oder »Gute Besserung«. Er setzte sich in seinen Wagen und hupte zum Abschied. Was hatte er in ihr gesehen? Eine Touristin, die ihre Offroad-Kompetenz überschätzt hatte. Die für ihr ramponiertes Fahrrad die Polizei bemüht hatte, statt Geld für ein Taxi zu zahlen. Die ihm mit einer wirren Mordgeschichte den
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