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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Autoren: Kai Hensel
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doch so nah war! Sie waren fast in Griechenland! Seine Schwester hob den Kopf:
    »Sind wir da?«
    »Gleich.«
    Er drückte ihren Kopf wieder unter die Jacke. Die Männer redeten. Ein Alter wimmerte und reckte die Hände zum Himmel. Der Steuermann schaltete den Motor wieder hoch und drehte den Bug in Richtung der Lichter. Das graue Schiff würde sie nicht noch einmal finden, in der Nacht. Wahrscheinlich würde es gar nicht nach ihnen suchen. Und wenn, dann sollte Vater rufen: »Motorschaden!« Dann durften die Soldaten ihnen nichts mehr tun, sie mussten ihnen sogar helfen, das war Gesetz! Vater nickte seinem Sohn am Bug zu, hob den Daumen. Der Sohn nickte zurück; gerade jetzt fühlte er wieder einen dünnen, heißen Strahl Erbrochenes auf seinem Hemd.
    Die Lichter der Insel verschwammen wie im Nebel. Erste Tropfen fielen, schwer und kalt. Kein Mittel, sich zu schützen, die Plane war für die Koffer und die Plastiktüten, und auch dafür war sie zu kurz. Bestimmt waren Kleidung und Schuhe in den Koffern schon durchnässt, was sollten sie anziehen, auf der Insel? Und plötzlich war es wieder da, das graue Schiff. Von hinten war es gekommen, tückisch, mit ausgeschalteten Lichtern. Und weil sie es erst jetzt sahen, als es den Kegel seines Scheinwerfers auf sie richtete, konnte Vater nicht mehr sagen, sie hätten einen Motorschaden. Aber er verlor nicht den Mut, stellte sich auf, schwenkte den Kanister:
    »Kein Benzin! Kein Benzin!«
    Keine Soldaten an Deck, nicht in dem Regen. Keine Antwort aus dem Lautsprecher. Nur das graue Schiff, das eine Kurve drehte, von der Seite kam, schnell, sie fast rammte und eine Welle machte, die ihr leichtes Boot beinahe umwarf. Die Frauen kreischten, die Männer stießen Flüche aus und reckten die Fäuste, Vater hielt den Kanister hoch und schrie, als ob er gleich weinen würde:
    »Kein Benzin!«
    Und schon wieder kam das graue Schiff – wie schnell es war! Es machte eine noch gefährlichere Welle, der Steuermann riss den Außenborder herum.
    »Mama liegt halb im Wasser!«
    Sie hatten an Bord bloß zwei Blechdosen und die Plastikflasche, von der Vater mit einem Messer die untere Hälfte abschnitt, um das Wasser aus dem Boot zu schöpfen – zu wenig, falls der Regen stärker wurde. Wenigstens blies jetzt, wo sie zurückfuhren, weg von der Insel, der Wind von hinten, kein Meerwasser schlug in ihr Boot. Das graue Schiff fuhr dicht hinter ihnen. Wollten die Soldaten bloß sehen, ob der Kanister wirklich leer war? Wenn sie im Meer trieben, ein Fischerboot voller Menschen, mit einer Frau, die gleich ein Baby bekam – dann mussten sie doch eine Leine herüberwerfen und ihnen helfen!
    Die Kurden und der Steuermann, ein Usbeke, hatten das Boot in Fethiye gekauft. Sie hatten die freien Plätze weiterverkauft, an andere Flüchtlinge aus dem Irak, Libanon, Somalia. Doch nun war allen klar: Sie hatten zu viele Plätze verkauft, das Boot war überfüllt, der Motor zu schwach für die hohe See. Es steuerte in teerschwarze Nacht, kein Licht am Horizont, nur Wind, Regen – und das graue Schiff, das wieder näher kam, bedrohlich, die Stimme rief etwas aus dem Lautsprecher.
    »Was hat er gesagt?«
    Eine Bö verwehte die Übersetzung des Vaters, doch die Kurden hatten genug gehört. Sie reckten die Arme und stießen Verwünschungen aus. Ein einzelner Soldat stand an der Reling, jung und schlank, mit einem Schnurrbart, dünn wie eine Klinge, und einem Kinn, das vielleicht nur im Deckslicht so mächtig wirkte. Der Alte stemmte sich hoch, hielt sich an der Schulter eines Jüngeren fest und schrie etwas in der fremden Sprache. Der junge Soldat zögerte einen Moment – dann legte er sein Gewehr an und schoss. Er schoss dreimal, viermal aufs Boot, während das Schiff schon abdrehte. Alles flüchtete hinter den Planken in Deckung. Die Kurden dachten, er hätte nichts getroffen, sie lachten höhnisch – aber nur einen Augenblick. In Wahrheit hatte der Soldat ziemlich gut getroffen, er hatte unter die Wasserlinie gezielt und ein Loch ins Holz geschossen. Das Wasser gurgelte, Gepäckstücke wurden hochgerissen.
    »Wo ist das Loch?!«
    »Hier!«
    »Nein, hier!«
    Alle mühten sich, das Loch mit der Plane zu stopfen, aber das Holz war gesplittert, von außen presste Wasser herein.
    »Wir müssen es von außen abdichten!«
    Aber wie sollten sie das schaffen, in den hohen Wellen? Und es musste ein weiteres Loch geben, mindestens eines, das Wasser im Boot stieg schnell. Wo waren die Löcher? Auf der Seite, in die
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