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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Autoren: Kai Hensel
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getäuscht. Von Ihrer Vergangenheit hätten Sie uns schon mehr erzählen müssen. Und mal ehrlich: Dieses graublaue Jil-Sander-Kostüm, das Sie im Bewerbungsgespräch getragen haben – das hat Ihnen doch im letzten Moment eine Freundin geliehen?«
    Sie geriet auf eine Schotterpiste. Verwehte Plastiktüten hingen in der Macchia. Sie hielt an, nahm die Sonnenbrille ab, wischte sich Schweiß von der Stirn. Sofort war sie umsummt von Fliegen. Sie hatte kein Wasser mitgenommen und ihr Portemonnaie am Strand gelassen. Sowieso zu spät, wo sollte sie in dieser Wildnis etwas kaufen? Vor ihr ragte der Gipfel des Psilorítis in den Himmel. Wegen des harten Winters und des späten Frühlings, hatte die Reiseleiterin beim Begrüßungscocktail erklärt, lagen sogar jetzt, ganz oben, noch einzelne Schneefelder. »Sie können auf Kreta einen Schneemann bauen!«, hatte sie gesagt, unter viel Gelächter. Maria war nicht in der Stimmung für Schneemänner. Doch wenn sie höher fuhr, würde sie vielleicht eine Quelle finden. Sie schob den Schirm ihres Basecaps in den Nacken – Sonnenöl wäre auch eine gute Idee gewesen – und fuhr wieder an.
    Eine kleine Schlange flüchtete vor ihrem Vorderreifen in die Macchia, Maria sah Kotkügelchen, aber weder Schafe noch Ziegen. Die Piste – kaum noch mehr als ein holpriger Pfad – führte einige hundert Meter durch einen Steineichenwald und Schatten; dann stieg sie an, in enger Kurve durch staubtrockenes Geröll. Vielleicht war das der Beginn einer Schlucht? Die Chance auf eine Quelle? Die Reifen drehten auf dem Schotter durch, neben ihr fiel die Felswand steil ab. Der Pfad verengte sich, ein herabgestürzter Felsen und eine einsame Pinie bildeten eine Art Tor …
    Der Blick öffnete sich auf eine Hochebene. Hier und da flatterte ein Schmetterling zwischen vertrockneten blauen, gelben, violetten Blüten. In der windstillen Luft stand der Duft von Thymian und Salbei. Eine Hummel summte. Weit oben am Himmel kreiste ein Raubvogel, vielleicht ein Adler. Ungefähr in der Mitte der Hochebene stand ein weißer Ford Fiesta, daneben ein Mann. Er pinkelte. Er sah auf, als er Marias Rad hörte. Er schloss hastig die Hose. Maria hatte keine Wahl, sie musste dicht an dem Mann und seinem Wagen vorbeifahren. Sie konnte ebenso gut absteigen und fragen:
    »Haben Sie einen Schluck Wasser?«
    Der Mann war groß und mittelschlank. Er trug eine hellbraune Bundfaltenhose, ein weißes Kurzarmhemd und dunkelbraune Slipper. Sein blassblondes Haar lichtete sich an der Stirn. Er wirkte nicht wie ein Einheimischer. Eher wie ein Tourist, allein im Urlaub. Er überlegte einen Moment und musterte sie. Er sagte:
    »Ich habe einige Dosen Cola.«
    »Ich habe leider kein Geld.«
    Er öffnete die Beifahrertür seines Fiestas. Er beugte sich über den Sitz, holte aus einer Plastiktüte eine Dose. Der Wagen wirkte neu und unbenutzt, wie ein Mietwagen. Auf der Rückbank fiel Maria ein Metallkoffer auf. Er wirkte fast wie ein Safe, mit starken Schlössern und Beschlägen. Der Mann hielt ihr die Dose hin:
    »Sie ist nicht gekühlt.«
    »Kein Problem.«
    Maria zog den Clip vom Deckel, drückte die Öffnung schnell an den Mund, fühlte die Cola lauwarm in ihren Rachen spritzen. Sie rülpste.
    »Entschuldigung.«
    Sie setzte die Dose erneut an den Mund. Sie fühlte den Blick des Mannes auf sich ruhen. Sie hatte ihn auf Englisch angesprochen, er hatte auf Englisch geantwortet. Mit leichtem Akzent, den sie nicht einordnen konnte. Er wirkte wie ein Mann, der wenig Kontakt mit Frauen hat. Der überlegte, wie er sich interessant machen konnte. Und dem nichts einfiel.
    »Kann ich die Dose leer trinken, und Sie nehmen sie mit?«, fragte Maria. »Ich möchte sie nicht einfach in die Natur werfen.«
    »Sie kommen hier hoch?«, fragte er. »Ganz allein?«
    »Ich mag die Berge lieber als den Strand.«
    »Ich auch.«
    »Und ich mag Fahrräder lieber als Autos.«
    Er blinzelte. »Es soll hier seltene Schmetterlinge geben.«
    »Ich sehe hier keinen.«
    »Wohl nur im Frühling. Mögen Sie Schmetterlinge?«
    Sie zuckte die Schultern und trank die Dose leer, in großen Schlucken. Sie wollte mit diesem Mann nicht reden. Sie unterdrückte einen zweiten Rülpser und hielt ihm die Dose hin.
    »Tausend Dank. Sie haben mich gerettet.«
    »Ich wünsche Ihnen eine gute Fahrt.« Er nahm die Dose. »Respekt für Ihre Kondition.«
    Sie setzte sich auf ihr Rad. Gerade wollte sie in die Pedale treten; da sah sie hinter dem Wagen Blut. Nicht viel, nur ein paar
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