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Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll

Titel: Das Perseus-Protokoll - Hensel, K: Perseus-Protokoll
Autoren: Kai Hensel
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vibrierte. »Es ist so klar, so kühl, so … Wo ist er? Oh mein Gott, wo –«
    Julians blonder Kopf schoss aus den Wellen; triumphierend hielt er eine Muschel in die Höhe.
    »Ich habe ihm gesagt, nicht hinter die Bojen! Nur solange er stehen kann!«
    »Wer war mit seinem fünf Monate alten Säugling zweimal die Woche beim Babyschwimmen? Damit er das Element Wasser entdeckt? Damit er sich frei wie ein Fisch fühlt, ohne Angst?«
    »Hast ja recht.« Undine streckte sich auf ihrem Liegestuhl aus, versuchte, nicht aufs Wasser zu sehen.
    »Er will mich heiraten.«
    »Julian will jede Frau heiraten. Ich frage mich, wann das aufhört.«
    »Wenn er in die Pubertät kommt.«
    Maria legte ihr Buch zur Seite, schloss die Augen. Zu heiß für die Odyssee. Zu viel Kindergeschrei, Frisbee-Scheiben, Alexis-Sorbas-Gedudel aus dem Ghettoblaster des Eisverkäufers.
    »Hast du in Berlin angerufen?«, fragte Undine.
    »Noch nicht.«
    »Gibt im Hotel Wireless Lan. Falls du über Skype –«
    »Ich mach’s heute Nachmittag.«
    Maria fühlte ihr Herz pochen. Der Friede dieses sommerheißen Strandvormittags war zerstört. Der Anruf. Die Entscheidung. Warum hatte sie Undine bloß von dem Brief erzählt? Und warum war der Brief nicht einen Tag später gekommen? Dann läge er jetzt neben der Tür in der Diele, im Regal für die Post, sie wüsste von nichts. Stattdessen, ausgerechnet am Morgen des Abflugs …
    »In deiner WG kannst du jedenfalls nicht bleiben«, fuhr Undine fort.
    »Wieso nicht?«
    »Wenn dich deine neuen Kommilitonen besuchen? Und Fredrik sitzt kiffend am Frühstückstisch?«
    »Er kifft nicht mehr.«
    »Ach!«
    »Nicht zum Frühstück.«
    Vielleicht hatte Undine recht, es ging gar nicht mehr um eine Entscheidung. Die hatten ihre Freunde, Mitbewohner, die Gäste im U-Turn längst für sie getroffen. »Wir glauben an dich!«, »Wenn es eine schafft, dann du!«
    »Such dir etwas Eigenes«, fuhr Undine fort, und jetzt klang sie wirklich wie Marias Mutter. »Im Westend oder am Wannsee. Jedenfalls in einer besseren Gegend. Wo Leute wohnen, die –«
    »Die was?«
    »Mit denen du auch später zu tun haben wirst.«
    Maria stand auf. Zog sich T-Shirt und Caprihose über ihren Bikini, band ihre Haare zum Zopf, schüttelte Sand aus ihrem Basecap.
    »Wo willst du hin?«
    »Ich steige aufs Fahrrad.«
    »Bei der Hitze?«
    »Sage Julian, ich bin zur Hochzeit wieder zurück.«
    Hinter Gázi war Maria abgebogen auf eine Nebenstraße in die Berge. An Weinstöcken und Kuhherden war sie vorbeigefahren, die Straße hatte steil bergauf geführt, bis Krousónas. Männer mit Zigarettenstummeln saßen an den Holztischen eines Kafeníons, aus einer kleinen Spielhalle hallten Schüsse und Motorengeheul. Auf einer Bank vor dem Krämerladen saßen verwitterte Frauen, gehüllt in züchtiges Witwenschwarz. Schweigend, die zahnlosen Münder halb offen, erwiderten sie den Gruß der kleinen blonden Frau, die auf ihrem Mountainbike in die Pedale trat, als sei sie auf der Flucht.
    Hatte Undine recht? Würde Maria die WG verlassen müssen? Tatjana mit ihren Tanztheaterprojekten, aus denen nie etwas wurde? Kermit, den tuberkulösen Kongosalmler, einsam in seinem Aquarium? Es ging nicht bloß um den Wechsel des Studienfaches, da hatte Undine recht. Auch nicht um eine andere Universität. Es ging um einen Neuanfang. In einer neuen Welt. Würde man Maria überhaupt akzeptieren in dieser Welt?
    Hinter Krousónas verengte sich die Straße zu schmalen Serpentinen. Sie passierte ein Dorf mit verfallenen Häusern und überwuchertem Friedhof. Ein Frauenkloster unter Steineichen und Zypressen. Die Sonne brannte von einem wolkenlosen Himmel, auf einem Felsvorsprung standen zwei Ziegen.
    Auch wenn sie vor den anderen so getan hatte, als sei die Bewerbung bloß ein Spiel, wie die Onlinekandidatur für eine Quizshow; in Wahrheit war sie mehr gewesen. Von Anfang an. Sie hatte sich etwas beweisen wollen. Aber was? Ihre Sprachkenntnisse? Erst in der Grundschule hatte sie Deutsch gelernt; später weitere Sprachen in einem Tempo, es war erst ihren Eltern, dann ihren Lehrern und Mitschülern unheimlich gewesen. Ihre Disziplin? Sie hatte es von der kasachischen Dorfklasse auf eine deutsche Realschule geschafft, von der Realschule aufs Gymnasium. Jetzt langweilte sie sich an der Uni. Wollte sie sich beweisen, wie hoch sie steigen konnte? In feinste diplomatische Kreise, trotz ihrer Herkunft? Wann würde sie sich kräftig den Kopf stoßen? »Frau Brecht, wir haben uns wohl in Ihnen
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