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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens
Autoren: Mark Lowery
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Sie gibt nur so viel von sich preis, dass man weiß, was man bekommt, aber sie geht nicht aufs Ganze. Ich wünschte, in Sachen Kleidung würden mehr Leute denken wie ein Custard Cream. Sie sollten sich eher zurückhalten, anstatt überall ihre Vanillecreme zur Schau zu stellen.
    Während ich meinen Keks mampfte und an dem hochkonzentrierten Saft nippte [8] , sagte sie, ich solle
Umgang mit Gefühlen
nicht mehr als Unterricht betrachten, sondern es »Sitzung« nennen. Sie muss mein Zeug von letzter Woche gelesen haben. Ich meine, ich habe ihr gegenüber nie von Unterricht gesprochen.
    »Das Wort ›Unterricht‹ lässt darauf schließen, dass ich dir hier etwas beibringe«, sagte sie mit ihrer dünnen Stimme. »Das stimmt aber nicht. Wir sind zusammen hier, um zu erforschen, wie du tickst, und um herauszufinden, wie es nach allem, was passiert ist, weitergehen soll.«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    »Michael, was du tun musst, ist aus dem Karton herauskommen. Wirf einen Blick auf dich. Das hier ist kein Klassenzimmer. Es ist eher eine Entdeckungs-Lounge.«
    Erforschen? Herausfinden? Entdecken? Das klingt, als würden wir am Amazonas nach Schrumpfköpfen suchen.
    Ich habe keine Lust, einen Blick auf mich zu werfen (ich sehe ein bisschen seltsam aus) oder aus dem Karton herauszukommen. Kartons sind gut. Sie sind bequem und in sich abgeschlossen und schützen einen vor alldem, was außerhalb ist. [9]
    Als ich keine Antwort gab, wies sie mit der riesigen Hand auf den Laptop, der auf dem Schreibtisch wartete. Ich lächelte höflich, setzte mich und begann zu tippen.
    Die Umkleidekabine. Kurz vor der ersten Katastrophe
    Somit war ich also gerade aus dem Schwimmtraining rausgeschmissen worden. Als ich in die Umkleidekabine kam, lag Paul richtig selbstgefällig ausgestreckt auf einer Bank. »Hey, du bist ja früh fertig«, sagte er grinsend.
    »Was sollte das da draußen?«, fragte ich und warf meine Tasche ungestüm auf den Boden.
    Paul rieb sich die Hände. »Ich hab Miss King unter die Lupe genommen. Genau wie du.«
    »Ich habe
trainiert
, du Pottwal«, knurrte ich.
    Paul wirkte gekränkt. Er hat das Gesicht eines Riesenbabys. »Hey, das ist unfair. Ich bin so auf die Welt gekommen. Und erzähl mir kein dummes Zeug übers Training. Du kannst Schwimmen nicht ausstehen. Jeden Tag stöhnst du darüber.«
    Er hatte recht. Ich spürte, wie ich errötete. »Ja, gut. Zumindest hab ich
versucht
, so zu tun, als würde ich schwimmen. Wie soll ich mich verbessern, wenn ich nichts von den Besten lerne? Du hast sie angestarrt wie einen Fisch im Aquarium.«
    Paul bekam einen ganz verschleierten Blick. »Und was für ein Anblick das war. Ich habe gestern Abend in der Garage gestöbert und die alten Tauchsachen meines Dads gefunden. Als ich die Maske sah, dachte ich …«
    »Du dachtest, du könntest sie benutzen, um Lucy King unbemerkt anzuglotzen. Du bist eine Gefahr für die Gesellschaft.« Ich öffnete meine Tasche und benutzte das Inhaliergerät. »Sie hat uns jämmerlich genannt.«
    Paul zog seine Shorts aus. Schnell drehte ich mich weg. Es gibt gewisse Dinge auf Erden, die ich nie zu Gesicht bekommen will. Darunter fällt eindeutig alles, was sich in Paul Bearys Shorts verbirgt.
    »Wäh, wäh, wäh!
Dich
hat sie vielleicht jämmerlich genannt, aber zu mir hat sie nichts gesagt.«
    »Lucy würde mich nie jämmerlich nennen. Das weiß ich mit Sicherheit.«
    Paul schlug mit seinem nassen Handtuch nach mir. »Mike, sie weiß nicht mal, wer du bist.«
    Ich sprang auf und schaffte es gerade so, ihn nicht anzusehen. »Quatsch. Sie hat mich schon mal angelächelt.«
    »Nein, Mike«, sagte Paul seufzend. »Sie hat dich schon mal
ausgelacht
. Ich war dabei. Das haben wir doch alles schon durchgekaut. Da besteht ein Unterschied.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Gelächelt.«
    Paul holte tief Luft. »Mike, es war eindeutig Lachen.«
    »Woher willst du das wissen?«
    »Dir hatte gerade eine Ente auf den Kopf geschissen. Lucy hat so unbändig gelacht, dass ich dachte, sie müsste sich übergeben.«
    »Das ist nicht wahr«, murmelte ich. »Das ist nicht wahr.«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen, und dann sagte Paul: »Egal, beeil dich. Ich habe noch nicht gefrühstückt, und als ich gekommen bin, waren im Automat nur noch zwei Tüten Fruchtpastillen übrig.«
    Ich weiß ganz sicher, dass Paul Beary manchmal Fruchtpastillen zum Frühstück isst, weil da Obst drin sei und sie deshalb gut für ihn seien. Er hat mir mal gesagt, dass sein Atem
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