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Das peinlichste Jahr meines Lebens

Das peinlichste Jahr meines Lebens

Titel: Das peinlichste Jahr meines Lebens
Autoren: Mark Lowery
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von den Pastillen frischer rieche als von Zahnpasta, darum bräuchte er sich auch nicht mehr die Zähne zu putzen. Er sagte, das sei so, als würde man »mit einer Anmache gleich zwei Mädchen abschleppen«. Ich glaube nicht, dass er schon mal ein einziges Mädchen »abgeschleppt« hat, geschweige denn zwei.
    Ich esse nur sonntags, an Geburtstagen und in den Schulferien Süßigkeiten zum Frühstück. Bevor das Ganze passiert ist, habe ich gern Coco Pops gegessen. Die betrachte ich als entspanntes Wochenend-Müsli. Sie sind fast so was wie ein Partysnack, bloß zum Frühstück.
    Im Sommer esse ich montags bis freitags Cornflakes und zwei Scheiben Toast (Butter, keine Marmelade). Im Winter immer Haferbrei. Das scheint mir in der Woche ein angemesseneres Frühstück zu sein. Es würde mir nicht richtig vorkommen, eine Schulkrawatte zu tragen und dabei ein schokoladiges oder zuckriges Frühstücksmüsli zu essen. Schon bei dem Gedanken wird mir leicht übel. Als mir Paul zum ersten Mal von seinem Fruchtpastillenfrühstück erzählte, hatte ich nachts einen Albtraum, in dem ich meine Cornflakes-Schachtel öffnete und nur Fruchtpastillen darin fand. Daraufhin bekam ich einen heftigen Asthmaanfall.
    Trotzdem ist es schade, dass ich nie mehr Coco Pops essen werde. Ich nehme an, ich muss wohl schon bald erklären, warum.
    Umziehen
    Ich habe schon gesagt, dass ich es nicht mag, wenn man mir zuschaut. Doch das sollte noch mal verdeutlicht werden. ICH KANN ES ABSOLUT NICHT AUSSTEHEN , WENN MAN MICH ANSCHAUT . Ich habe einen ungewöhnlichen Körper, der sich aus großen Füßen, spindeldürren Armen, einer Hühnerbrust, einem Speckbauch und einem riesigen, beim Gehen hin und her wackelnden Kopf zusammensetzt. Mein Bruder sagt, dass ich wie eine Marionette aussehe. Er ist ein Idiot.
    Schon so lange ich denken kann, hasse ich es, wenn man mich anschaut. Trotzdem hat mich meine Mum gezwungen, eine Sportart wie Schwimmen zu betreiben, bei der man nur eine Badehose trägt. Normalerweise hülle ich mich in ein Handtuch oder einen Bademantel, bis ich ins Wasser springe.
    Eine der schlimmsten Sachen geschah im siebten Jahr. Eines Tages stellte ich zu meinem Schrecken beim Aufwachen fest, dass mir eine zusätzliche, na ja,
Brustwarze
gewachsen war.
    Ja, eine zusätzliche Brustwarze.
    Das verunsicherte mich total. Ich stellte mich krank, um nicht schwimmen gehen zu müssen, und weigerte mich, mich zum Sportunterricht in der Schule umzuziehen. Ich konnte es niemandem erzählen und auf gar keinen Fall zur Schulschwester gehen. Ich wagte nicht mal, das Ding zu berühren, für den Fall, dass es
pulsierte
oder irgendwas.
    Nach vier Tagen voller Angst und Schrecken fiel es schließlich in der Badewanne ab. Wie sich herausstellte, war es bloß eine gebackene Bohne, die mir mein idiotischer Bruder mit Sekundenkleber im Schlaf auf die Haut gepappt hatte.
    Jedenfalls ziehe ich mich nicht gern im Beisein anderer Leute um. Ins Schwimmbad zu gehen ist schon schlimm genug. Deshalb hüllte ich das Handtuch wie ein Kleid um meine Brust, obwohl mich Paul Beary auslachte und sagte, ich sähe aus wie ein altes Weib, streifte meine Badehose ab und zog mich so schnell wie möglich an.
    Ungestüme Umarmung von Miss O’Malley
    Miss O’Malley hat mir gerade auf die Schulter geklopft. Ihre Hand war so schwer, als wäre ein Adler auf mir gelandet. Sie sagte, die Zeit sei um. Abgesehen von ihrem Pfeifen hatte ich ihre Anwesenheit ganz vergessen.
    »Okay, Michael«, sagte sie, »Zeit aufzuhören.«
    Ohne nachzudenken, erwiderte ich: »Kann ich das bitte noch fertigschreiben?«
    Wahrscheinlich hatte ich das Gefühl, ich hätte noch etwas zu sagen.
    Wisst ihr, was sie da tat? Wie aus heiterem Himmel umarmte sie mich fest. Ich meine wirklich fest. Ich dachte schon, sie würde mir eine Rippe brechen. Dann feuerte sie Worte ab wie ein Maschinengewehr. »Oh, gut gemacht. Gut gemacht, Michael. Endlich spricht er mit mir. Endlich. Endlich. Mein Gott, ich dachte schon, er wäre stumm. So tapfer. So überaus tapfer. Natürlich kannst du fertigschreiben. Bleib so lange du willst, und ich sage den anderen Lehrern, was für ein tapferer Bursche du bist.«
    Ich hatte keinen Schimmer, wovon sie redete. Mit Sicherheit
fühlte
ich mich nicht tapfer. Ich hatte doch nur um mehr Zeit gebeten. Ich lächelte leicht. Dann sahen wir uns schweigend an. Das war wirklich ein bisschen peinlich. Nach einer gefühlten Ewigkeit wandte ich mich wieder dem Laptop zu und schrieb weiter. Sie setzte
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