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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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setzte sich und stellte das kleine batteriebetriebene Diktiergerät neben sich.
    Mr. Tagomi begann. »Ich habe das Orakel gefragt ›wird das Zusammentreffen zwischen mir und Mr. Childan nützlich sein?‹ und leider das ominöse Hexagramm ›das Übergewicht des Großen‹ bekommen. Zu viel Gewicht in der Mitte; unausgeglichen. Vom Tao weg.« Das Tonbandgerät summte.
    Mr. Tagomi hielt inne und dachte nach. Miss Ephreikian sah ihn erwartungsvoll an.
    Dann verstummte das Summen.
    »Mr. Ramsey soll einen Augenblick hereinkommen, bitte«, sagte Mr. Tagomi.
    »Ja, Mr. Tagomi.« Sie stand auf, stellte das Gerät weg, und ihre Absätze klapperten zur Türe hinaus.
    Mr. Ramsey kam mit einer dicken Mappe mit Frachtbriefen herein. Jung, lächelnd trat er auf Mr. Tagomi zu. Er trug die Kordelkrawatte des Mittleren Westens, ein großkariertes Hemd und enge, gürtellose Bluejeans, wie sie im Augenblick von modebewußten jungen Leuten bevorzugt wurden. »Howdy, Mr. Tagomi«, sagte er. »Mächtig schöner Tag heute, Sir.«
    Mr. Tagomi verbeugte sich.
    Und Mr. Ramsey zuckte zusammen und verbeugte sich ebenfalls.
    »Ich habe das Orakel befragt«, sagte Mr. Tagomi, als Miss Ephreikian sich wieder zu ihrem Tonbandgerät setzte. »Es ist Ihnen bekannt, daß Mr. Baynes, der, wie Sie wissen, in Kürze persönlich hier erscheinen wird, hinsichtlich der sogenannten östlichen Kultur Anhänger der nordischen Ideologie ist. Ich könnte mir die Mühe machen, ihn mit authentischen Werken chinesischer Malerei oder der Keramik unserer eigenen Tokugawaperiode zu beeindrucken… Aber es ist nicht unsere Aufgabe, ihn zu ändern.«
    »Ich verstehe«, sagte Mr. Ramsey, und sein kaukasisches Gesicht verzog sich in mühsamer Konzentration.
    »Deshalb werden wir uns seinen Vorurteilen anpassen und ihm statt dessen ein amerikanisches Artefakt von unschätzbarem Wert übergeben.«
    »Ja.«
    »Sie haben amerikanische Vorfahren. Obwohl Sie sich die Mühe gemacht haben, Ihre Hautfarbe dunkler zu machen.« Er sah Mr. Ramsey scharf an.
    »Sonnenbräune mit Hilfe einer Höhensonne erzielt«, murmelte Mr. Ramsey. »Ich tue das lediglich, um Vitamin D aufzubauen.«
    Aber sein Ausdruck der Erniedrigung verriet ihn. »Ich kann Ihnen versichern, daß ich noch in meinen Vorfahren…« Mr. Ramsey konnte den Satz nicht zu Ende sprechen. »Ich habe noch nicht alle Bindungen an die ethnischen Wurzeln abgeschnitten.«
    Aber Mr. Tagomi hörte gar nicht mehr hin. Er hatte sich bereits wieder Miss Ephreikian zugewandt. »Wir wollen weitermachen.« Das Tonbandgerät fing wieder zu summen an. »Ich habe dann das Orakel erneut befragt und Hexagramm Ta Kuo, achtundzwanzig, bekommen und damit die ungünstige Zeile neun an der fünften Stelle. Sie lautet:
    Eine verdorrte Pappel trägt Blüten.
Eine ältere Frau nimmt sich einen Mann.
Keine Schuld. Kein Lob.
    Das deutet klar darauf hin, daß Mr. Childan uns um zwei nichts Wertvolles anzubieten hat.« Mr. Tagomi hielt inne. »Wir wollen ganz offen sein. Ich kann mich nicht auf mein persönliches Urteil hinsichtlich amerikanischer Kunstgegenstände verlassen. Aus diesem Grunde…«, er überlegte sich die richtige Formulierung.
    »Aus diesem Grunde brauche ich Sie, Mr. Ramsey, sozusagen als Eingeborenen. Ich habe das Orakel weiter befragt. Ich kann Ihnen, Mr. Ramsey, aus politischen Gründen die Frage nicht bekanntgeben.«
    ›Mit anderen Worten‹, drückte sein Ton aus, ›Sie und die anderen Pinocs haben kein Recht, die wichtigen Dinge zu erfahren, mit denen wir uns befassen.‹
    »Der Hinweis möge genügen, daß ich eine sehr provozierende Antwort erhielt. Ich habe längere Zeit darüber nachgedacht.«
    Mr. Ramsey und Miss Ephreikian sahen ihn gespannt an. »Es handelt sich natürlich um Mr. Baynes«, sagte Mr. Tagomi.
    Beide nickten.
    »Meine Frage bezüglich Mr. Baynes führte durch das okkulte Wirken des Tao zum Hexagramm Sheng , sechsundvierzig. Ein gutes Urteil. Zeile sechs am Anfang und neun an zweiter Stelle.« Seine Frage hatte gelautet, werde ich erfolgreich mit Mr. Baynes verhandeln? Und die Neun an zweiter Stelle hatte ihm das versprochen. Sie lautete:
    Wenn man ehrlich ist,
nützt es, selbst eine kleine Gabe zu bringen.
Keine Schande.
    Offensichtlich würde Mr. Baynes also mit jedem Geschenk zufrieden sein, das die Handelsmission ihm mittels der guten Dienste des Mr. Tagomi überreichte. Aber indem Mr. Tagomi die Frage stellte, gab es da gleichzeitig eine viel tiefgründigere Frage, derer er sich kaum bewußt war.
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