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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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    Eine Woche lang hatte Mr. R. Childan besorgt nach der Post Ausschau gehalten. Aber die wertvolle Sendung aus den Rocky Mountain Staaten war nicht eingetroffen. Als er am Freitagmorgen seinen Laden aufschloß und auf dem Boden neben dem Postschlitz nur Briefe liegen sah, dachte er, da wird mein Kunde aber böse sein.
    Er holte sich eine Tasse Instant-Tee aus dem Fünf - Cent-Automaten an der Wand, nahm einen Besen und begann sauberzumachen. Bald war die Straßenseite der ›American Artistic Handcrafts‹ für den Tag bereit, blitzsauber, die Registrierkasse voll Kleingeld, in der Vase frische Dotterblumen und das Radio eingeschaltet, so daß leise Hintergrundmusik erklang. Draußen eilten Geschäftsleute über den Bürgersteig zu ihren Büros an der Montgomerystreet. In der Ferne fuhr ein Kabelwagen vorbei; Childan hielt in seiner Arbeit inne, um das vertraute Bild voll Vergnügen zu genießen. Frauen in ihren langen farbenfrohen Seidenkleidern… auch ihnen blickte er nach. Dann klingelte das Telefon. Er drehte sich um, um den Hörer abzunehmen.
    »Ja«, sagte eine vertraute Stimme, als er sich gemeldet hatte. Childans Herz sank. »Hier spricht Mr. Tagomi. Ist mein Rekrutierungsplakat aus dem Bürgerkrieg schon eingetroffen, Sir? Bitte erinnern Sie sich; Sie haben es mir schon für letzte Woche versprochen.« Die pedantische scharfe Stimme, kaum noch höflich, kaum ihrer guten Manieren bewußt. »Habe ich Ihnen nicht eine Anzahlung gegeben, Mr. Childan? Es soll ein Geschenk sein, wissen Sie. Ich habe Ihnen das doch erklärt. Ein wichtiger Geschäftsfreund.«
    »Intensive Nachforschungen«, begann Childan, »ich habe sie auf eigene Kosten angestellt, Mr. Tagomi. Wie Sie wissen, kommt das versprochene Paket ja von außerhalb und ist deshalb…«
    Aber Tagomi ließ ihn nicht weiterreden. »Dann ist es also nicht eingetroffen.«
    »Nein, Mr. Tagomi.«
    Eine eisige Pause.
    »Ich kann nicht mehr warten«, sagte Tagomi.
    »Nein, Sir.« Childan blickte bedrückt durch das Ladenfenster auf den warmen, hellen Tag und die Bürogebäude von San Francisco hinaus.
    »Dann ein Ersatz. Was schlagen Sie vor, Mr. Childan? « Tagomi sprach den Namen bewußt falsch aus; eine Beleidigung innerhalb des Verhaltenscodes, über die Childan sich unwillkürlich ärgerte. Eine Frage des Gesichts. Robert Childans Hoffnungen, Ängste und Qualen erdrückten ihn, ließen seine Zunge erstarren. Er stammelte. Seine Hand, die das Telefon hielt, fühlte sich klebrig an. Sein Laden roch nach den Butterblumen; die Musik spielte weiter, aber ihm war, als stürze er in irgendein fernes Meer.
    »Nun…«, brachte er schließlich hervor. »Ein Butterfaß. Ein Speiseeisbereiter, cirka 1900.« Sein Geist wollte einfach nicht denken. Wenn man es vergißt; wenn man sich selbst etwas vormacht. Er war achtunddreißig Jahre alt und konnte sich noch an die Tage vor dem Krieg erinnern, jene anderen Zeiten. Franklin D. Roosevelt und die Weltausstellung; jene frühere bessere Welt. »Könnte ich Ihnen verschiedene wünschenswerte Gegenstände in Ihr Büro bringen?« murmelte er.
    Eine Verabredung für zwei Uhr wurde getroffen. Ich muß den Laden schließen, dachte er, als er den Hörer auflegte. Geht nicht anders. Solche Kunden muß man bei Laune halten; das Geschäft hängt davon ab.
    Und dann merkte er, daß jemand – ein junges Paar – den Laden betreten hatte. Ein junger Mann und ein Mädchen, gutaussehend, gut gekleidet. Ideal. Er beruhigte sich und trat vor, lächelte. Sie beugten sich gerade über ein Museumsstück, hatten einen hübschen Aschenbecher aufgehoben. Verheiratet, vermutete er. Draußen in der neuen exklusiven Wohngegend oberhalb von Belmont.
    »Hallo«, sagte er und fühlte sich gleich besser. Sie lächelten, ohne irgendein Gefühl von Überlegenheit, nur freundlich. Seine Auslagen – und er hatte wirklich die besten an der ganzen Küste – hatten sie beeindruckt; das sah er und freute sich, und sie begriffen.
    »Wirklich ausgezeichnete Stücke, Sir«, sagte der junge Mann.
    Childan verbeugte sich spontan.
    Ihre Augen leuchteten warm. Man konnte ihnen das Vergnügen ansehen, das sie bei der Betrachtung seiner Kunstgegenstände mit ihm teilten. Sie waren ihm dankbar, daß er solche Dinge für sie bereithielt, Dinge, die sie sehen, aufheben, in der Hand halten konnten, selbst wenn sie sie nicht kauften. Ja, dachte er, sie wissen, in was für einer Art von Laden sie sind; das ist nicht billiger Kram für Touristen, Ringe oder Postkarten
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