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Das Orakel vom Berge

Das Orakel vom Berge

Titel: Das Orakel vom Berge
Autoren: Phillip K. Dick
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mit einem Bild von der Brücke. Besonders die Augen des Mädchens, groß, dunkel. Wie leicht ich mich in ein solches Mädchen verlieben könnte, dachte Childan. Wie tragisch mein Leben dann wäre, als wäre es nicht ohnehin schon schlimm genug. Das modische schwarze Haar, die lackierten Nägel, die durchbohrten Ohren für die langen Bronzeohrringe.
    »Ihre Ohrringe«, murmelte er. »Hier gekauft?«
    »Nein«, sagte sie. »Zu Hause.«
    Childan nickte. Keine zeitgenössische amerikanische Kunst; in einem Laden wie dem seinen konnte man nur die Vergangenheit zeigen. »Sind Sie lange hier?« fragte er. »In unserem San Francisco?«
    »Ich bin auf unbestimmte Zeit nach hierher versetzt«, sagte der Mann. »Bei der Untersuchungskommission für die Planung des Lebensstandards Unglücklicher Regionen.« Stolz leuchtete in seinem Gesicht. Nicht Militär. Keiner von den kaugummikauenden primitiven Rekruten mit ihren gierigen Bauerngesichtern, die die Marketstreet auf und ab schlenderten und die billigen Läden anstarrten, die Sexfilme, die Schießbuden, die billigen Nachtclubs… die Jazzkneipen, die heute den größten Teil von San Francisco erfüllten, baufällige Hütten aus Blech und Brettern, die selbst schon vor der letzten Bombe zwischen den Ruinen entstanden waren. Nein – dieser Mann gehörte der Elite an. Kultiviert, gebildet, vielleicht in höherem Maße als Mr. Tagomi, der immerhin ein hoher Beamter bei der Handelsmission an der Pazifikküste war. Tagomi war ein alter Mann. Sein ganzes Verhalten war in den Tagen des Kriegskabinetts geprägt worden.
    »Hatten Sie traditionelle amerikanische Kunstgegenstände als Geschenk gesucht?« fragte Childan. »Oder wollen Sie vielleicht eine neue Wohnung für die Zeit Ihres Aufenthaltes hier ausstatten? Im letzteren Fall…« Sein Herz schlug unwillkürlich schneller.
    »Richtig vermutet«, sagte das Mädchen. »Wir bemühen uns um unsere Einrichtung. Wir sind noch etwas unentschlossen. Glauben Sie, daß Sie uns informieren könnten?«
    »Ich könnte es einrichten, zu Ihrer Wohnung zu kommen, ja«, sagte Childan. »Ich würde ein paar Musterkoffer mitbringen. Sie können dann in aller Ruhe aussuchen. Das ist nämlich unsere Spezialität.« Er senkte die Augen, um seine Hoffnung zu verbergen. Hier waren Tausende von Dollar zu holen. »Ich bekomme einen New-England-Tisch herein, Ahorn, alles mit Holzteilen gefertigt, keine Nägel. Ungeheuer schön und wertvoll. Und einen Spiegel aus der Zeit des Krieges von 1812. Und dann Eingeborenenkunst: zwei Teppiche aus Ziegenwolle, handgefärbt mit Pflanzenfarben.«
    »Ich persönlich«, sagte der Mann, »ziehe die Kunst der Städte vor.«
    »Ja«, sagte Childan eifrig. »Hören Sie, Sir. Ich habe da ein Wandgemälde aus der Zeit der WPA Post, ein Original, auf Brettern, in vier Teilen. Horace Greely ist darauf abgebildet. Ein Sammlerstück von unschätzbarem Wert.«
    »Ah«, sagte der Mann, und seine dunklen Augen blitzten.
    »Und ein Grammophonkabinett aus dem Jahre 1920, umgebaut in eine Hausbar.«
    »Ah.«
    »Und, Sir, hören Sie zu: ein gerahmtes signiertes Bild von Jean Harlow .«
    Der Mann starrte ihn mit großen runden Augen an.
    »Wollen wir eine Verabredung treffen?« fragte Childan und hatte damit instinktiv den richtigen psychologischen Augenblick ausgewählt. Er holte Notizbuch und Feder aus der Innentasche. »Ich werde mir Ihren Namen und Ihre Adresse notieren, Sir und Lady.«
    Nachher, als die beiden seinen Laden verließen, stand Childan da, die Hände hinter dem Rücken, und blickte auf die Straße hinaus. Freude. Wenn alle Geschäftstage so wären… Aber das hier war mehr als Geschäft, mehr als der Erfolg seines Ladens. Es war eine Gelegenheit, auf gesellschaftlicher Ebene mit einem jungen japanischen Paar bekannt zu werden, auf der Basis, daß sie ihn als Mann akzeptierten und nicht nur als Yank oder bestenfalls als Händler, der Kunstgegenstände verkauft. Ja, diese neuen jungen Leute, diese Leute aus der heranwachsenden Generation, die sich nicht an die Tage vor dem Krieg oder gar an den Krieg selbst erinnerten – sie waren die Hoffnung der Welt. Rangunterschiede hatten für sie keine Bedeutung.
    Es wird anders werden, dachte Childan. Eines Tages. Und dann wird es nicht mehr Regierte und Regierende geben, sondern einfach nur Menschen. Und dennoch zitterte er vor Angst und malte sich aus, wie er an ihre Tür klopfen würde. Er blickte noch einmal in sein Notizbuch. Die Kasouras. Man würde ihn einlassen, ihm
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